Unterlassenstäter

Beitrag teilen

Ein unheimliches Schwarz-Weiß-Foto einer Gefängniszelle.

Unterlassenstäter

Grundsätzlich kann auch jemand, der eine Pflicht hatte zu handeln und dies unterlassen hat, auch als Täter bestraft werden. Dafür muss er die Möglichkeit gehabt haben, den Taterfolg zu verhindern und im Übrigen für das Opfer verantwortlich sein. Dies kann zum einen vorliegen, wenn der Täter zu seinem Opfer in irgendeiner Form eine Fürsorgepflicht hat und deshalb als sein Beschützer zu werten ist oder dafür verantwortlich ist, das Opfer zu Überwachen. Eine Pflicht zum aktiven Handeln kann sich auch aus einer vorherigen Tat ergeben. Bringt der Täter das Opfer in eine gewisse Situation und hilft ihm aus dieser Situation nicht heraus, ist er aus der Garantenstellung der Ingerenz sogar verpflichtet dem Opfer zu helfen. 

 

  1. Probleme im Zusammenhang mit dem Unterlassen

Wann ein aktives Tun und wann ein Unterlassen anzunehmen ist, ist häufig nicht leicht zu bestimmen. Stellt ein Arzt die lebenserhaltenden Maßnahmen ein, und der Patient stirbt, ist es nicht eindeutig, ob das aktive Ausstellen der lebenserhaltenden Maschinen die strafbare Handlung wird oder aber das Unterlassen der Wiederbelebung.

Der BGH und Teile der Literatur gehen davon aus, dass die Abgrenzung anhand des Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit erfolgt. Zumeist kommt man nach dieser Ansicht zu dem Schluss, dass positives Tun anzunehmen ist.

Eine weitere Auffassung geht davon aus, dass eine aktive Handlung immer dann vorliegt, wenn eine Person Energie in Form einer gewillkürten Muskelanspannung in einer bestimmten Richtung einsetzt und damit folgenreich auf einen Kausalprozess einwirkt. Begründet diese Handlung strafrechtliche Verantwortlichkeit, kann die Annahme eines Begehungsdelikts nicht durch eine Umwertung zum Unterlassen vermieden werden. Auf das Unterlassen kommt es nur an, wenn der Täter entweder gar nicht aktiv gehandelt hat oder sein aktives Handeln keine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründet.

Im Übrigen ist es als durchaus problematisch zu werten, ob man die Person, die im Prinzip nur neben dem Aktivtäter steht, dem Opfer aber auch nicht hilft, auch als Unterlassungstäter bestrafen kann. Dabei spielt nicht nur die Frage, ob eine aktive Tat oder ein Unterlassen vorliegt, eine Rolle, sondern auch ob der danebenstehende Täter selbst Täter und damit Mittäter ist, oder Teilnehmer. 

 

  1. Beispielsfall

Der Angeklagte, D und L waren zusammen mit dem Opfer P Insassen einer Justizvollzugsanstalt und teilten sich eine Zelle. Der zurückhaltende und schüchterne D wurde dabei im Laufe mehrerer Wochen insbesondere von D und L „in einer Atmosphäre der Gewalt“ mehrfach misshandelt und auch sexuell gedemütigt. An P wurden bereits zweimal zuvor einen „Schein-Erstickungstod“ inszeniert, indem sie P u.a. an einen Stuhl fesselten und ihm eine Plastiktüte über den Kopf zogen, die sie erst entfernten, als P zu ersticken drohte. Am Tattag zwang der Angeklagte gemeinsam D den P, auf einen Stuhl zu steigen und seinen Hals in eine zuvor an einem Heizungsrohr befestigte Schlinge zu legen. Als er dann den Stuhl nach und nach wegschob. Kurz bevor P zu ersticken droht, erlaubten der Angeklagte ihm wieder auf den Stuhl zu steigen. 

Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und wegen gefährlicher Körperverletzung in 2 Fällen, diese jeweils in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. 

Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein und beanstandete damit die Verletzung materiellen Rechts. 

Der BGH ging davon aus, dass den Angeklagten entgegen der Ansicht des Landgerichts, eine Ingerenz traf. Der Angeklagte hatte sein Opfer P bereits in der Vergangenheit mehrfach gedemütigt und ihn auf seine Bitte dies doch zu unterlassen mit Fußtritten zu Gehorsam gezwungen. Damit hat er zu erkennen gegeben, dass die Gefahr weiterer Straftaten bestand. Grundsätzlich traf daher den Angeklagten die Pflicht weitere Straftaten des D zum Nachteil des P zu verhindern. 

Der BGH stimmt hingegen mit dem LG überein, dass der Angeklagte nicht Mittäter der von D begangenen Nötigung war. Die Rechtsprechung des BGH macht deutlich, dass die Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe durch Unterlassen zur Tat eines aktiv Handelnden die innere Haltung des Unterlassenden zur Tat bzw. dessen Tatherrschaft maßgebend ist. War seine auf Grund einer wertenden Betrachtungsweise festzustellende innere Haltung als Ausdruck eines sich die Tat des anderen zu eigen machenden Täterwillens aufzufassen, so liegt die Annahme der Mittäterschaft nahe. War sie dagegen davon geprägt, dass er sich dem Handelnden im Willen unterordnete und ließ er das Geschehen ohne innere Beteiligung und ohne Interesse am drohenden Erfolg lediglich ablaufen, spricht dies für eine bloße Beteiligung als Gehilfe. Zum anderen kommt Mittäterschaft des Unterlassenden in Betracht, wenn dieser „Herr des Geschehens“ war, er also die Tatherrschaft hatte.

Der Angeklagte konnte zwar durch sein Eingreifen zugunsten des Opfers eine weitere Tatbegehung durch D und damit ein Tötungsdelikt ohne weiteres beenden. Maßgeblich gesteuert wurde das Nötigungsgeschehen indes von D, der die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hielt, während der Angeklagte diese bis zu seinem Eingreifen lediglich ablaufen ließ. Auch unter Berücksichtigung der vorangegangenen Misshandlungen und der von ihm mitgeschaffenen „Atmosphäre der Gewalt“ war der Angeklagte nur Randfigur des Geschehens, zumal kein besonderes Tatinteresse oder ein Täterwillen beim Angeklagten nicht festgestellt werden konnte. 


________________
[1] Gaede, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen StGB, § 13, Rn. 7.
[2] Bosch, in: Schönke/Schröder StGB, § 13, Rn. 158 a.
[3] Brammsen, in: Tun oder Unterlassen? Die Bestimmung der strafrechtlichen Verhaltensformen, GA 2002, 193 (205 ff.).
[4] Gaede, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen StGB, § 13, Rn. 7.
[5] BGH, Urteil v. 12.02.2009 – 4 StR 488/08, NStZ 2009, 321 (321).
[6] BGH, Urteil v. 12.02.2009 – 4 StR 488/08, NStZ 2009, 321 (322).
[7] BGH, Beschluss v. 26.08.1991 – 3 StR 237/91, NStZ 1992, 32 (33).
[8] BGH, Urteil v. 23.01.1958 – 4 StR 613/57, NJW 1958, 836 (837).
[9] BGH, Urteil v. 12.02.2009 – 4 StR 488/08, NStZ 2009, 321 (322).

Suche

Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

Letzte Beiträge

Like

Cookie-Einstellungen