Unterbrechung einer Hauptverhandlung auf Grund von Vorerkrankungen in Zeiten der Corona-Pandemie

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Ein kunstvolles Gebäude mit einem Uhrturm in Hamburg.

Unterbrechung einer Hauptverhandlung auf Grund von Vorerkrankungen in Zeiten der Corona-Pandemie

Beschluss des OLG Hamburg vom 16.04.2020 – 1 Ws 39/20

Während der Corona-Pandemie hat sich für jeden viel verändert. Viele Arbeitnehmer mussten in Kurzarbeit gehen oder haben gänzlich ihren Job verloren. Vor vielen Reisezielen wurde von der Bundesregierung gewarnt, es wurde eine Maskenpflicht in vielen öffentlichen Räumen verhängt und auch das soziale Leben ist in vielerlei Hinsicht verändert. Gerade für Menschen mit einer Vorerkrankung gelten als besonders gefährdet und wurden vom RKI als Risikogruppe eingestuft. Haben diese Menschen nunmehr als Angeklagte oder Zeugen vor Gericht eine Anwesenheitspflicht müssen besondere Maßnahmen getroffen werden um die gesundheitlichen Risiken möglichst klein zu halten. Allerdings kann ein Gericht nicht grundsätzlich auf alle Verhandlungen während der Corona-Pandemie verzichten und seine gesamte Tätigkeit einschränken nur, weil ein Verfahrensbeteiligter Vorerkrankungen hat. 

Vor dem LG Hamburg wurde gegen einen Angeklagten in der Berufungsinstanz wegen schwerer Körperverletzung und zahlreicher anderer Delikte ein Verfahren geführt. Die Hauptverhandlung begann am 05.03.2019 und umfasste zum Zeitpunkt der Beschwerde bereits 29 Termine. 

Bei dem Angeklagten wurden ausweislich eines ärztlichen Attests chronische myeloische Leukämie, Asthma Bronchialis und Diabetes Mellitus Typ II bei Adipositas festgestellt. In einer darauf bezogenen Stellungnahme des Instituts für Rechtsmedizin Hamburg wurde festgehalten, dass der Angeklagte trotz seiner Erkrankungen verhandlungsfähig war und sich keine gesundheitlichen Einschränkungen für ihn ergäben, solange gewährleistet sei, dass er seine Medikation regelmäßig erhalte, Mahlzeiten anpasse und die Therapie überwacht würde. 

Am 14.04.20 teilte die Kammervorsitzende dem Verteidiger des Angeklagten per E-Mail sinngemäß mit, dass die Verhandlung wegen der Eindämmung der Corona-Pandemie so ausgestaltet werde, dass zwischen den Beteiligten ein Mindestabstand von zwei Metern gewährleistet sei. Die folgenden Termine wurden daraufhin in den größtmöglichen Saal des Gerichts verlegt. 

Mit einem Anwaltsschreiben vom 15.04.2020 beantragte der Angeklagte den Termin vom 17.04.2020 aufzuheben und ihn möglichst weit in die Zukunft zu verschieben, um das Ansteckungsrisiko des Angeklagten zu minimieren. Begründet wurde sein Antrag damit, dass er zu der von der Pandemie besonders betroffenen Risikogruppe gehöre. Das RKI empfehle unter diesen Umständen private Kontakte auf das Notwendigste zu reduzieren. 

Das Landgericht lehnte mit Beschluss vom 15.04.2020 den Antrag ab. Zur Begründung führte die Kammer aus, dass der Sachverständige dem Angeklagten zwar die Krankheiten bestätigte, jedoch nicht von einer Immunschwäche auszugehen war. 

Daraufhin erhob der Angeklagte Beschwerde gegen den Beschluss vom 15.04.2020.

Beschwerde vor dem OLG Hamburg

Die Beschwerde des Angeklagten blieb jedoch erfolglos.

Unabhängig davon, ob die Beschwerde zulässig war, erweist sie sich als unbegründet. Eine Beschwerde wäre nur dann begründet, wenn das Berufungsgericht sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hätte. 

Das OLG stellte fest, dass sich die Vorsitzende der Kammer intensiv mit den gesundheitlichen Folgen für den Angeklagten im Falle einer Verhandlung auseinandergesetzt hatte.

Die Vorsitzende hatte sich im Übrigen nur von sachlichen Erwägungen leiten lassen. Darunter fällt auch die Überlegung eine nochmalige Vernehmung des Nebenklägers nach der Aussetzung zu vermeiden. 

Die Durchführung der Hauptverhandlung erwies sich im Übrigen für den Angeklagten nicht als unzumutbar. Es lassen sich bei ihm zwar gesundheitliche Beschwerden nachweisen, diese richten sich jedoch nicht gegen sein Immunsystem. Vor dem Hintergrund der zeitlich nicht abzusehenden Dauer der Covid-19-Pandemie kann und darf ein erhöhtes Ansteckungsrisiko nicht Grund sein, das Strafverfahren lahm zu legen. Das hätte zur Folge, dass durch die Pandemie auch eine Krise der Rechtsstaatlichkeit entstehen würde.

Grundsätzlich gilt also, dass der Vorsitzende Möglichkeiten schaffen sollte, die es ermöglichen Bedingungen zu schaffen damit die gesundheitlichen Risiken der Verfahrensmitglieder während der Hauptverhandlung auf ein vertretbares Maß reduziert werden. Erst wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind und das Risiko immer noch als hoch eingestuft werden muss, sind Terminsaufhebungen oder Unterbrechungen dringend geboten.

Folgen einer Unterbrechung

Aber was passiert, wenn eine Hauptverhandlung doch mal unterbrochen wird? 

Eine Hauptverhandlung könnte nur durch Anordnung des Vorsitzenden gem. § 229 StPO bis zu drei Wochen unterbrochen werden. Unter bestimmten Umständen kann die Unterbrechung auch bis zu zwei Monate unterbrochen werden. Kann das Gericht aus verschiedensten Gründen nach Ablauf der Frist nicht weiterverhandeln muss das Verfahren neu aufgerollt werden, § 229 IV 1 StPO. Das Verfahren wird damit grundsätzlich in den Stand zurückversetzt, den es nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Zulassung der Anklage hatte. Das heißt, dass bei einem Neubeginn der Hauptverhandlung wieder alle Beweisanträge erneut gestellt werden müssen. Die Verfahrensbeteiligten müssen im Übrigen auch erneut geladen werden. Eine Ladungsfrist besteht jedoch nicht.

4. Fazit

Abschließend ist festzustellen, dass eine Unterbrechung wegen Vorerkrankungen zwar grundsätzlich möglich, aber nicht zwingend notwendig sind. Der Vorsitzende muss Sorge dafür tragen, dass das Infektionsrisiko für den Betroffenen minimiert ist und sich durch die Verhandlung keine gesundheitlichen Einschränkungen für denjenigen entstehen. 

Muss die Verhandlung doch unterbrochen werden, ist diese Unterbrechung mit einem erheblichen Mehraufwand für alle Beteiligten verbunden, sodass eine Unterbrechung möglichst zu verhindern ist.

[1] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.04.2020 – 1 Ws 39/20, CouVuR 2020, 490, Rn. 3.
[2] Rau, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, § 19, Rn. 81.
[3] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.04.2020 – 1 Ws 39/20, CouVuR 2020, 490, Rn.6; RKI, Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem hohen Risiko auf einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html, abgerufen am 25.09.20.
[4] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.04.2020 – 1 Ws 39/20, CouVuR 2020, 490, Rn. 9.
[5] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.04.2020 – 1 Ws 39/20, CouVuR 2020, 490, Rn. 16.
[6] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.04.2020 – 1 Ws 39/20, CouVuR 2020, 490, Rn. 16.
[7] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.04.2020 – 1 Ws 39/20, CouVuR 2020, 490, Rn.17.
[8] Petri, in: Aussetzung der Hauptverhandlung, NJW-Spezial 2015, 504 (504).
[9] Arnoldi, in: MüKO zur StPO, § 229, Rn. 23.
[10] Gmel, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 229, Rn. 14.
[11] Arnoldi, in: MüKO zur StPO, § 229, Rn. 23.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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