Was ist mit „Teile der Bevölkerung“ aus § 130 StGB gemeint? Werden davon auch Frauen umfasst?

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Eine Person, die mit einer Kaffeetasse auf einem Laptop tippt und einen Teil der Bevölkerung repräsentiert.

Was ist mit „Teile der Bevölkerung“ aus § 130 StGB gemeint? Werden davon auch Frauen umfasst?

Internethetze ist ein neues Phänomen und kann genauso schlimme Auswirkungen haben wie direkte Hetze. Doch wie macht sich ein Täter strafbar, der öffentlich gegen Frauen im Internet hetzt? Umfasst § 130 StGB solche Taten?

  • 130 StGB schützt den in Abs. 1 ausdrücklich genannten, öffentlichen Frieden, d.h. das Allgemeininteresse an einem friedlichen und sicheren Zusammenleben im Staat und darüber hinaus auch die Menschenwürde. 

 

  1. Der Sachverhalt

Als Betreiber eines Internetforums verfasste und veröffentlichte der Angeklagte verschiedene Eigen- und Fremdbeiträge, in dem er Frauen in besonderer Weise herabwürdigt, ihnen ein Recht als gleichwertige Persönlichkeiten in der staatlichen Gemeinschaft abspricht und er sie auf ihre Fortpflanzungsfähigkeit reduzierte. 

Beispielsweise schrieb er in einem solchen Portal:

„Wofür sind die Weiber geschaffen? Für die Reproduktion! Das Weib steht den Tieren näher, der Mann den Himmelswesen.“

Im Übrigen befürwortete der Angeklagte das Wahlrecht für Frauen abzuschaffen.

Alle Beiträge, die der Angeklagte veröffentlicht hat sind seit dem Tag ihrer Veröffentlichung für eine unbeschränkte Anzahl von Internetnutzern frei abrufbar.

Das Landgericht ging erstinstanzlich davon aus, dass im Rahmen der rechtlichen Würdigung hinsichtlich des Angriffsobjekts allein die Subsumtion unter den Terminus „Teile der Bevölkerung“ in Betracht komme. Dieser Begriff ist allerdings sehr schwammig formuliert und meint andere Gruppierungen, als die in § 130 I Nr. 1 StGB genannten. 

Betrachtet man § 130 StGB historisch wird deutlich, dass die Definition des Begriffs „Teile der Bevölkerung“ nicht per se auf der Hand liegt, aber im Vergleich zu der alten Fassung des § 130 StGB eine deutliche Eingrenzung erfahren hat. Im Vordergrund stehen die Weltanschauung oder die soziale oder politische Ausrichtung einzelner Bevölkerungsgruppen. 

Das hat zur Folge, dass die heutige Rechtsprechung und das Schrifttum davon ausgehen, dass der Begriff eine Mehrzahl von Menschen darstellen, die z.B. durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder durch ihre sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion als besondere Gruppe erkennbar sind. Es fällt aber auf, dass an keiner Stelle geschlechtsspezifische Bestimmungen von Teilen der Bevölkerung vorgenommen wird. Nach Ansicht des Amtsgerichts ist also nicht davon auszugehen, dass ganz allgemein „die Frauen“ oder „die Männer“ nicht als „Teile der Bevölkerung“ anzusehen ist. 

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten nur wegen Volksverhetzung in sechs Fällen verurteilt. 

Dagegen legte der Angeklagte Berufung ein, durch die er freigesprochen wurde. 

Gegen dieses Urteil richtete sich dann die Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

 

  1. Entscheidung des OLG Köln

Das OLG kam zu dem Entschluss dass die Rüge Erfolg hatte und hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache zurück an die Vorinstanz.

Der Senat ging davon aus, dass auch Frauen unter den Begriff der „Teile der Bevölkerung“ fallen.

Im Allgemeinen versteht man unter „Teil“ der Bevölkerung eine Personenmehrheit, die individuell nicht mehr überschaubar ist und sich von der Gesamtheit der Bevölkerung aufgrund bestimmter Merkmale äußerer oder innere Art unterscheidet.

Schematisch ist es zunächst möglich, die Frauen als Teil der Bevölkerung anzusprechen. Der Senat hat in einer anderen Sache bereits entschieden, dass auch Homosexuelle einen Teil der Bevölkerung darstellen können. Und es ist auch anerkannt, dass Menschen mit Behinderung unter diesen Begriff fallen.

Im Rahmen der Erneuerung des § 130 StGB führt die Gesetzesbegründung aus:

„Die Aufnahme von Einzelpersonen in den Wortlaut des § 130 StGB soll nicht auf die im Rahmenbeschluss genannten Gruppen beschränkt werden. Sie erfasst vielmehr alle Personenmehrheiten, die sich durch irgendein festes äußeres oder inneres Unterscheidungsmerkmal als erkennbare Einheit herausheben, und daher als Teile der Bevölkerung schon nach bisheriger Rechtslage geschützt werden.“ 

Dadurch wird eher deutlich, dass die Änderung des Tatbestands eher eine Aufweitung als eine Eingrenzung zur Folge hat. Zu keiner Zeit wurde diskutiert, dass anhand geschlechterspezifischer Kriterien unterschiedliche Teile der Bevölkerung dem Schutzbereich nicht unterfallen sollen. Obwohl die sexuelle Orientierung nicht in den in § 130 StGB genannten Kriterien genannt ist, hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch diese Gruppe dem § 130 StGB unterfallen soll. Die Historie der Vorschrift zeigt somit die Entwicklung zu einem umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“ auf, wobei der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung keineswegs anhand der im Tatbestand ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt ist.


[1] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 2.
[2] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 3.
[3] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 12.
[4] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 13.
[5] Fischer, in: Fischer StGB, § 130, Rn. 4.
[6] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 1.
[7] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 14.
[8] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 15.
[9] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 17.
[10] Fischer, in: Fischer StGB, § 130, Rn. 4.
[11] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 20.
[12] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 35.
[13] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn.36.
[14] OLG Köln, Urteil v. 09.06.2020 – 1 RVs 77/20, BeckRS 2020, 13032 Rn. 37.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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