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Strafrechtliche Relevanz von Sitzblockaden

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Ein gelbes radioaktives Schild auf weißem Hintergrund.

Strafrechtliche Relevanz von Sitzblockaden

Wenn jemand in Deutschland mit irgendetwas unzufrieden ist, hat er die Möglichkeit für oder gegen die Thematik zu demonstrieren. Beliebtes Mittel um seiner Meinung Ausdruck zu verleihen ist eine Sitzblockade. Dass sich die Blockierenden unter Umständen durch ihre Sitzblockade strafbar machen, dürfte für die meisten überraschend sein. 

Um eine Strafbarkeit in diesem Verhalten entdecken zu können, muss man sich erst mal bewusstmachen, was genau bei einer Sitzblockade passiert. Sinn dieser Blockade ist es schließlich Menschen oder Fahrzeuge am Durchfahren einer bestimmten Strecke zu hindern. Dabei kann alleine schon die Hinderung strafbar sein. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn ein Durchkommen lebensnotwendig ist, wie es beispielsweise bei einem im Einsatz befindlichen Krankenwagen der Fall sein kann. Damit eine sogenannte Nötigung zustande kommt, muss das Gericht sich Gedanken machen, ob das abgenötigte Verhalten verwerflich war. Ansonsten käme man zu dem Entschluss, dass jede Aufforderung der Eltern das Zimmer aufzuräumen, weil man ansonsten ein Taschengeldentzug bekäme, unter Umständen eine strafrechtlich verfolgbare Nötigung. 



  1. Sachverhalt 

In der Nacht vom 15.12.2011 auf den 16.02.2011 fand durch Bahnverkehr ein sog. „Castor“-Transport vom Gelände des KIT, in das atomare Zwischenlager Nord statt. Ungeachtet eines von der zuständigen Behörde für die Zeit vom 15.02.2011, 00 Uhr, bis 16.02.2011, 24 Uhr, mittels Allgemeinverfügung für den gesamten Schienenbereich bis zum KIT Nord und für die Bahngleise der Transportstrecke sowie für den Bereich von 50 Metern beidseitig der Gleisanlagen geltende Versammlungsverbot begab sich der Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 15.02.2011 mit weiteren 37 Personen auf das Gelände des KIT Nord, um an einer Greenpeace-Aktion teilzunehmen. Während durch Tor 4 der Castor-Transport stattfinden sollte, war Tor 3 ausschließlich für die Beförderung der Mitarbeiter des KIT genutzt, wobei an Werktagen auch die Straßenbahn dieses Tor nutzte. In Verfolgung seines Tatplanes, auf den Castor-Transport möglichst öffentlichkeits- und medienwirksam aufmerksam zu machen, kettete sich der Angeklagte mit mehreren weiteren Personen mittels eines Fahrradbügelschlosses mit dem Hals an Tor 3 fest, wobei sich die anderen so am Tor festketteten, dass sich dieses nicht mehr öffnen ließ. 

Gegen 6 Uhr durchtrennten Polizeikräfte in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr des KIT das Fahrradschloss des Angeklagten, sodass nach Durchtrennen auch der übrigen Schlösser das Tor wieder frei war und die Straßenbahn passieren konnte. Der Angeklagte beabsichtigte mit seiner Aktion, die Beförderung der Mitarbeiter in das KIT zumindest zu verzögern. 

 

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Berufung ein, bei der jedoch nur die Tagessatzhöhe verändert wurde. 

Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte wiederum Revision ein. 

 

  1. Die Entscheidung des OLG Karlsruhe

Nach § 240 II StGB ist eine Nötigung nur dann als rechtswidrig anzusehen, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Dabei hat das Gericht Nötigungsmittel und Nötigungszweck in einer Gesamtwürdigung in Beziehung zu setzen. Verwerflich ist eine Nötigung nur dann, wenn die Verquickung von Mittel und Zweck mit den Grundsätzen eines geordneten Zusammenlebens unvereinbar, sie also „sozial unerträglich“ ist. Die Verwerflichkeitsklausel ist also Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der übermäßige Sanktionierung untersagt, und steht im Einklang mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens. An der Rechtswidrigkeit der Nötigung fehlt es, wenn sich im Rahmen der insoweit vorzunehmenden Gesamtwürdigung die strafrechtliche Ahndung einer erfolgten oder versuchten Beeinträchtigung von Freiheitsrechten Dritter als unverhältnismäßig erweisen würde.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen bei Blockadeaktionen, mit denen mit allgemeiner-politischer Zielsetzung ein kommunikatives Anliegen verfolgt wird, zum Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit vor übermäßiger und unangemessener Sanktion besondere Anforderungen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel des § 240 II StGB. Danach sind bei der am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen der Aktion auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungskriterien sind dabei die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.

Eine Versammlung verliert den Schutz des Art. 8 GG nur bei kollektiver Unfriedlichkeit. Eine solche ist erst dann anzunehmen, wenn Handlungen von einiger Gefährlichkeit stattfinden, aber nicht schon dann, wenn es zu Behinderungen Dritter kommt.

In die Abwägung inwieweit das Verhalten des Angeklagten als verwerflich anzusehen ist, hätte berücksichtigt werden müssen, dass es zu keiner Behinderung der Mitarbeiter am Tor 3 gekommen ist, weil die Polizei die Schlösser zum Arbeitsbeginn der Arbeiter bereits geöffnet hatte und dass zwischen Beginn der Auflösung der Versammlung und eines blockadefreien Tors nur knapp eine Stunde lagen, sodass die Handlungen des Angeklagten sich weder durch besondere Dauer noch besondere Intensität auszeichneten.

Auf Grund von mangelnden Ausführungen des Landgerichts, entschied das OLG Karlsruhe das Urteil aufzuheben.

 


________________
[1] OLG Karlsruhe, Beschluss v. 08.01.2015 – 1 (8) Ss 510/13, NStZ 2016, 32 (32).
[2] OLG Karlsruhe, Beschluss v. 08.01.2015 – 1 (8) Ss 510/13, NStZ 2016, 32 (33).
[3] BGH, Beschluss v. 05.09.2013 – 1 StR 162/13, NJW 2014, 401 (404).
[4] OLG Karlsruhe, Beschluss v. 08.01.2015 – 1 (8) Ss 510/13, NStZ 2016, 32 (33 Rn. 9).
[5] BVerfG, Beschluss v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90, NJW 2002, 1031 (1033).
[6] OLG Karlsruhe, Beschluss v. 08.01.2015 – 1 (8) Ss 510/13, NStZ 2016, 32 (33 Rn. 10).
[7] BVerfG, Beschluss v. 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81, BeckRS 1985, 108894.
[8] OLG Karlsruhe, Beschluss v. 08.01.2015 – 1 (8) Ss 510/13, NStZ 2016, 32 (34 Rn. 13).
[9] OLG Karlsruhe, Beschluss v. 08.01.2015 – 1 (8) Ss 510/13, NStZ 2016, 32 (32 Rn. 5).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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