Das Schweigerecht des Angeklagten

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Das Schweigerecht des Angeklagten

Ein weit verbreitetes Sprichwort ist „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“. Dieses Sprichwort kann in manchen Fällen auch im Strafrecht angewendet werden. Grundsätzlich ist der Angeklagte nicht verpflichtet, über seine Taten auszusagen, wenn er sich dabei selbst belastet. Dieser Grundsatz entspring aus dem sogenannten „nemo tenetur-Grundsatz“ [„Niemand darf gezwungen werden, sich im Strafprozess selbst zu belasten“].  Das Schweigen während der Hauptverhandlung darf deshalb dem Angeklagten nicht negativ bzw. als Geständnis ausgelegt werden. Es besteht aber für den Angeklagten die Möglichkeit sein Schweigen teilweise zu brechen. Der Beschuldigte kann dann über einen Teil seiner Tat oder nur über bestimmte Taten aussagen und ansonsten weiterhin die Aussage verweigern. Das wiederrum kann aber zur Folge haben, dass das Schweigen in Bezug auf den nichtausgesagten Teil ihm negativ ausgelegt wird. 



Teilweises Schweigen kann auch einen Nachteil darstellen

 

In einer Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf vom 29.06.2021 galt das oben genannte Sprichwort leider nicht uneingeschränkt. Das LG Düsseldorf verurteilte den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und sechs Monaten. Das Gericht war davon überzeugt, dass sich der Angeklagte an einem Abend im September 2020 mit dem späteren Geschädigten und zwei weiteren Personen zur Aussprache wegen eines Streites in einem Park traf und seinem Kontrahenten dann mit einem Messer in den linken Oberschenkel stach, wodurch eine Arterie des Geschädigten verletzt wurde und er aufgrund des hohen Blutverlustes verstarb.

Das Gericht stützt seine Entscheidung hinsichtlich des Sachverhalts und der Tatbegehung– neben einem rechtsmedizinischen Sachverständigengutachten – insbesondere auf eine Erklärung des Verteidigers, die sich der Angeklagte zu eigen machte. In dieser Erklärung räumte der Angeklagte zwar ein, dem Tatopfer tödliche Verletzungen zugefügt zu haben. Ger behauptete aber gleichzeitig, der Geschädigte sei ohne erkennbaren Anlass auf ihn zugelaufen, er habe demnach deshalb aus Notwehr gehandelt. Details zu wesentlichen Aspekten des Tatgeschehens teilte der Angeklagte allerdings nicht mit. Die Aussage, die der Verteidiger des Angeklagten abgab, enthielt weder Angaben zum Gegenstand des Streits noch über die Reichweite einer Einbeziehung der beiden weiteren Personen in das Tatgeschehen, obwohl eine Darlegung nach Auffassung des Gerichts naheliegend gewesen wäre.

Dadurch, dass der Angeklagte aber zu wesentlichen Teilen des Tatgeschehens schwieg, wurde nachteilige Schlüsse zulasten des Angeklagten gezogen. Das führte unter anderem dazu, dass eine Notwehrlage vom Gericht verneint wurde. Eine dagegen gerichtete Revision vorm BGH blieb erfolglos.

 

Das Schweigerecht des Beschuldigten

Dieses Urteil stößt im Hinblick auf das Schweigerecht des Beschuldigten auf erhebliche Bedenken. 

Der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“, der dem Beschuldigten das Recht gibt zu schweigen, zählt zu den Grundpfeilern des deutschen Strafrechts. Das Schweigen darf danach dem Beschuldigten nicht negativ angelastet werden, unabhängig davon in welchem Verfahrensstadium sich der Beschuldigte dazu entscheidet zu schweigen. Dies gilt unabhängig davon, ob er in früheren Verfahrensstadien zur Sache schweigt und sich erst in der Hauptverhandlung dazu entschließt, zur Sache auszusagen oder er sich umgekehrt zunächst – etwa im Ermittlungsverfahren – zur Sache einlässt und erst später von seinem prozessualen Schweigerecht Gebrauch macht.

Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn eine frühere Aussage durch Vernehmung einer Verhörsperson oder über § 254 StPO durch Verlesen des richterlichen Vernehmungsprotokolls in die Hauptverhandlung eingeführt werden soll.

 

Entscheidung des LG Düsseldorf und herrschende Meinung

 

Sowohl das Landgericht Düsseldorf als auch die herrschende Meinung gehen davon aus, dass bei teilweisem Schweigen, der nicht ausgesagte Teil dem Beschuldigten negativ angerechnet werden darf. Begründet wird die (nachteilige) Berücksichtigungsfähigkeit des „teilweisen Schweigens“ vor allem damit, dass sich der zu einzelnen Fragen schweigende Angeklagte aus freien Stücken selbst zum Beweismittel mache, indem er trotz vorheriger Belehrung über sein Schweigerecht bestimmte Sachverhaltsangaben unterbreitet und zugleich einzelne Fragen offenlässt. Problematisch daran ist, dass wenn der Angeklagte nur teilweise aussagt, auch nur dieser Teil der Aussage der richterlichen Beweiswürdigung unterliegt. In allen anderen Punkten will er sich gerade nicht zum Beweismittel machen und an der Sachverhaltsaufklärung mitwirken. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass Teilaussage und Teilschweigen als „Gesamtaussage“ zu sehen ist und deshalb auch ganzheitlich gewertet werden kann und muss. Teilaussagen und Teilschweigen können auf den unterschiedlichsten Motiven beruhen, sodass nicht feststellbar ist, ob dem Teilschweigen ein negativer Bestandteil der Aussage entnommen werden kann oder nicht. 

Folgt man der herrschenden Meinung, hat das eine partielle Entwertung des Schweigerechts des Beschuldigten zur Folge. Schließlich wird der Angeklagte letztlich vor die Wahl gestellt. Entweder kann er vollumfänglich aussagen, oder Schweigen. 

 


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[1] Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 29.06.2021 – 1 Ks 9/21 10 Js 495/20.
[2] Zeyher, in: Schweigen ist Gold – Teilschweigen ist Blech?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/schweigen-teilschweigen-blech-gold/, abgerufen am 23.11.2022.
[3] BGH, Beschluss vom 21.12.2021 – 3 StR 380/21, https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2021&anz=123&pos=11, abgerufen am 23.11.2022.


[4] Zeyher, in: Schweigen ist Gold – Teilschweigen ist Blech?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/schweigen-teilschweigen-blech-gold/, abgerufen am 23.11.2022.
[5] Geipel, in: Handbuch der Beweiswürdigung, § 38, Rn. 300; Schuhr, in: MüKO zur StPO, Vorb. § 133, Rn. 79 ff..
[6] Zeyher, in: Schweigen ist Gold – Teilschweigen ist Blech?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/schweigen-teilschweigen-blech-gold/, abgerufen am 23.11.2022.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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