Reform des Sanktionierungssystems
Immer wieder wird insbesondere im Zusammenhang mit sogenannten „Schwarzfahrern“ darüber diskutiert, das Sanktionierungssystem in Deutschland zu reformieren. Nach Schätzungen müssen jährlich 7.000 Menschen wegen einer unbezahlten Geldstrafe in Haft. Betrachtet man eine mögliche Reformierung des Sanktionierungssystems steht dabei nicht nur das Sanktionierungssystem ansich im Vordergrund, sondern auch die Frage, was Strafe eigentlich bewirken soll.
Zu der Frage, was Sinn und Zweck von Strafe ist, gibt es mannigfaltige Ansätze. Eine abschließende Auseinandersetzung ist deshalb in diesem Rahmen nicht möglich, grundsätzlich soll dieser Artikel aber einen Denkanstoß bieten und für Verständnis für die Reformbedürftigkeit des Sanktionierungssystems sorgen.
Sinn und Zweck von Strafe
Es gibt verschiedene Theorien darüber, wieso Menschen straffällig werden. Je nachdem welcher Theorie in der Hinsicht gefolgt wird, ergeben auch die Theorien über den Sinn und Zweck von Strafe mehr oder weniger Sinn.
Der Mensch ansich hat erst einmal das Bedürfnis Verhalten, das nicht der Norm entspricht zu bestrafen. Dieses Bedürfnis findet man in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Beispielsweise im Fußball, wenn ein Spieler einen anderen Spieler foult, bekommt er je nach Schweregrad eine gelbe Karte.
Der französische Soziologe Emile Durkheim war der Ansicht, dass die Gesellschaft eine Reaktion verlangt, wenn gegen anerkannte Normen verstoßen wird. Dieses Bedürfnis in der Gesellschaft kann durch Strafen befriedigt werden. Aus dieser Perspektive dienen Strafen bereits der Wiederherstellung des Rechtsfriedens und Stärkung des Rechtsbewusstseins. Daneben die Strafe im Verhältnis zu dem Opfer der Straftat eine Genugtuungsfunktion.
Eine weitere Straftheorie geht davon aus, dass Strafe auch den Sinn hat, dem Täter die Möglichkeit zu geben, seine Schuld zu verarbeiten und zu sühnen. Ohne offizielle Strafe könne nach dieser Theorie, der für die psychische Stabilisierung notwendige Reinigungsprozess nicht stattfinden.
Nach den absoluten Straftheorien, deren bekanntester Vertreter Emanuel Kant war, hat Strafe zweckfrei zu sein, und ist absolut. Strafe wird danach nur um des reinen Strafens willen verhängt, irgendein staatlicher oder individueller Nutzen kann damit nicht verbunden werden. Strafe bedeutet in diesem Zusammenhang die Verwirklichung des Ideals von Gerechtigkeit.
Relative Straftheorien beschäftigen sich hingegen eher damit, dass künftig keine weiteren Straftaten begangen werden. Strafen sollen danach, andere vor der Begehung einer Straftat abhalten (Negative Generalprävention), das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit schärfen (positive Generalprävention), den einzelnen Täter vor einer Wiederholung abschrecken, bzw. den Täter resozialisieren (positive und negative Individual- oder Spezialprävention). Bekannteste Vertreter dieser Theorien waren Paul Johann Anselm von Feuerbach sowie Franz von Liszt.
Heutzutage werden primär die sogenannten Vereinigungstheorien angenommen. Danach darf Strafe kein Selbstzweck sein und findet ihre Legitimation in der Zweckhaftigkeit für die Zukunft. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung 1977 erklärt, dass das oberste Ziel des Strafens sei, „die Gesellschaft vor sozialschädlichem Verhalten zu bewahren und die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen“.
Reformvorschläge
Reformiert werden soll die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB. Diese tritt bislang an die Stelle einer uneinbringlichen Geldstrafe, wobei ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe entspricht.
Grundsätzlich ist man sich zwar darüber einig, dass das Androhen einer Ersatzfreiheitsstrafe Verurteilte dazu bewegt, die Geldstrafe zu zahlen, aber in den letzten Jahren ist die Zahl derjenigen, die die Geldstrafe „absitzen“ wollen immer weiter angestiegen. Häufig trifft diese deutlich schwerwiegendere Sanktion Menschen, die aufgrund von Drogenabhängigkeit, Arbeits- oder Wohnungslosigkeit oder Krankheit, zahlungsunfähig geworden sind. Das kann zur Folge habe, dass Leute, die eh schon auf der schiefen Bahn waren, nur weiter hinab gezogen werden. Die kurze Verbüßungsdauer lässt nachhaltige Resozialisierungsmaßnahmen kaum zu, die „Denkzettelwirkung“ des Strafübels (Franz von Liszt) geht oft genug ins Leere. Dabei verursacht diese Vollstreckungsart nicht nur soziale Kosten bei den Delinquenten, sondern ist auch für den Steuerzahler vergleichsweise teuer.
Problematisch bei der Reform ist, dass die Geldstrafe bleiben soll und die Ersatzfreiheitsstrafe reformiert werden soll, aber noch nicht klar ist, was an die Stelle der Ersatzfreiheitsstrafe treten soll. Einem Verurteilten die Möglichkeit zu geben, statt der Geldstrafe gemeinnützige Arbeit abzuleisten, sei laut der Partei „die Linken“ keine Alternative, da der Vollzug der Strafe nicht vom Einverständnis des Verurteilten abhängig gemacht werden dürfte. Im Übrigen seien die Erfahrung, die bisher mit der gemeinnützigen Arbeit gemacht würden, eher ernüchternd.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Ersatzfreiheitsstrafe nicht gänzlich abzuschaffen, sondern die Umrechnungsformel anzupassen. Dafür spricht nicht nur, dass die Kosten-Nutzen-Relation günstiger ist, sondern auch straftheoretisch-verfassungsrechtliche Erwägungen. Tritt an die Stelle der Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe, ist dies kein bloßer Austausch von Strafarten, sondern eine Verschärfung des Strafübels: Die Freiheitsstrafe ist gegenüber der Geldstrafe ein qualitatives aliud und enthält als solches ein eigenes, zusätzliches Übel, die der bisherige Umrechnungsfaktor ignoriert. Um diese Härte auszugleichen, wird angedacht den Umrechnungsfaktor auf 2:1 anzuheben. Bedeutet also: 60 Tagessätze werden zu 30 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe.
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[1] Ostendorf, in: vom Sinn und Zweck des Strafens, bpb, https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/268220/vom-sinn-und-zweck-des-strafens/, abgerufen am 24.11.2022.
[2] BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76, https://openjur.de/u/60105.html, abgerufen am 24.11.2022.
[3] Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, in: Abschaffung wäre keine Alternative, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ersatzfreiheitsstrafe-bmj-referentenentwurf-reform-sanktionenrecht-geldstrafe-halbierung-tagessatz/, abgerufen am 24.11.2022.
[4] Prof. Dr. jur. Michael Kubiciel, in: Abschaffung wäre keine Alternative, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ersatzfreiheitsstrafe-bmj-referentenentwurf-reform-sanktionenrecht-geldstrafe-halbierung-tagessatz/, abgerufen am 24.11.2022.
[5] Zimmermann, in: Ersatzfreiheitsstrafe soll halbiert werden, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bmj-entwurf-strafrecht-ersatzfreiheitsstrafe-halbiert-strafe-verschaerft-geschlechtsspezifische-taten/, abgerufen am 24.11.2022.