Freiheitsberaubung oder Einverständnis?
Gem. § 239 StGB wird derjenige, der einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, bestraft. Die Norm schützt also den Willen des Opfers, den Aufenthaltsort zu verlassen. Was ist aber, wenn das Opfer sich in der konkreten Situation gar nicht fortbewegen will? Aber in diese Situation nur geraten ist, weil es nicht weiß, worum bzw. wohin es geht?
Mit dieser Frage hat sich der BGH kürzlich auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Im Oktober 2018 heiratete die Geschädigte den Angeklagten und zog zu dessen Familie. 2019 zeigte sie den Angeklagten wegen Vergewaltigung und Körperverletzung an und floh aus der Wohnung. Eine Rückkehr lehnte sie trotz massiver Einwirkung durch die Familien ab. Im August beschlossen die Mutter des Angeklagten, der Bruder, der Onkel sowie ein Freund (vier Angeklagte), die Geschädigte unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in ein Flugzeug nach Georgien zu setzen und dann später nach Tschetschenien zu bringen, um sie dort wieder zu einer angemessenen Lebensführung zu bringen. Es wurde der Geschädigten erklärt, dass man wegen der Beantragung russischer Pässe nach Polen reisen müsste. In der Nacht vom 27.08 auf den 28.08 fuhren die vier Angeklagten zusammen mit der Geschädigten mit dem Auto zum Flughafen, wobei die Geschädigte zwischen zwei der Angeklagten auf der Rückbank saß. Während der Pausen durfte die Geschädigte sich unter Aufsicht der Angeklagten nur im Umkreis des Autos aufhalten. Die Angeklagten wären aber bereit gewesen, im Falle einer Flucht einzugreifen. Die immer noch nichts ahnende Geschädigte bestieg sodann zusammen mit zwei der Angeklagten das Flugzeug, wobei sie davon ausging, dass man nach Polen fliegen werde. Nach der Landung erkannte die Geschädigte, dass man in Georgien gelandet war. Die Angeklagten verbrachten sie in ein Ferienhaus, in welchem man sie mittels Gewalt dazu brachte, das Haus nicht zu verlassen.
Das Landgericht Berlin hatte die Angeklagten wegen Freiheitsberaubung verurteilt. Sowohl die Angeklagten, als auch die Generalstaatsanwaltschaft legten daraufhin Revision ein.
Entscheidung des BGH
Der BGH bestätigte jedoch das Urteil des Landgerichts Berlin. Der BGH konnte in dem Urteil des Landgerichts keinerlei Rechtsfehler zulasten der Angeklagten erkennen.
- 239 StGB schützt die persönliche Freiheit, sich von einem Ort fortzubewegen und damit auch die Freiheit der Willensbetätigung in Bezug auf die Veränderung des Aufenthaltsortes. Der Wille des Rechtsgutsträgers wird also schon auf Tatbestandsebene relevant. Ist der Rechtsgutsträger mit der Einschränkung seiner persönlichen Fortbewegungsfreiheit einverstanden, so liegt ein tatbestandsausschließendes Einverständnis vor.
Problematisch könnte jedoch sein, ob nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit oder auch die potentielle Fortbewegungsfreiheit geschützt ist. Teile der Literatur sind der Ansicht, es sei nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit geschützt. Die wohl herrschende Meinung will aber von § 239 StGB auch die potentielle Fortbewegungsfreiheit schützen.
„Nach der Rechtsprechung des BGH und Teilen der Literatur schützt § 239 StGB die potenzielle persönliche Bewegungsfreiheit. In sie wird auch dann eingegriffen, wenn der von der Tathandlung Betroffene sich gar nicht wegbewegen will. Entscheidend ist allein, ob es ihm unmöglich gemacht wird, seinen Aufenthalt nach eigenem Belieben zu verändern. Ausschlaggebend ist mithin nur, ob der Betroffene sich ohne die vom Täter ausgehende Beeinträchtigung seiner Bewegungsmöglichkeit fortbegeben könnte, wenn er es denn wollte. Ob er seine Freiheitsbeschränkung überhaupt realisiert, ist danach ohne Belang“.
Während des Fluges und der Autofahrt konnte die Geschädigte den Aufenthaltsort nicht verlassen, selbst wenn sie dies gewollt hätte. Die Geschädigte hat also mit Einsteigen in das Auto oder das Flugzeug den aktuellen Willen, den gewählten Ort zu verlassen, mit Betreten des Flugzeugs oder Autos aufgegeben. In den Phasen zwischen Flug und der Autofahrt wusste die Geschädigte jedoch nicht, dass die beiden Begleitpersonen jederzeit bereit waren, sie gegen ihren Willen in das Auto oder das Flugzeug zu zerren. Die tatsächlich bestehenden Einschränkungen waren der Geschädigten in dem Moment nicht bewusst.
Wesentlich ist aber nur, dass das Opfer täuschungsbedingt gar nicht mitbekommt, dass es sich in einer Situation befindet, die seinem Willen entgegenläuft. Fraglich ist also, inwieweit der Wille frei von Täuschungen sein muss. Dazu führt der BGH aus:
„Bezugspunkt für ein tatbestandsausschließendes Einverständnis in eine Freiheitsberaubung iSd § 239 StGB ist der potenzielle Fortbewegungswille. Nötig ist mithin, dass sich der Betroffene der Freiheitsentziehung und der Freiheitsentziehende über das Ausmaß und die Dauer der Freiheitsentziehung einig sind…Ahnt der Betroffene hingegen nicht, dass er sich selbst dann nicht fortbewegen könnte, wenn er dies wollte, ist der Tatbestand des § 239 StGB mit Blick auf das geschützte Rechtsgut der potenziellen Bewegungsfreiheit erfüllt. Ein durch List oder Täuschung erschlichenes Einverständnis des Betroffenen in eine ihm nicht bewusste Freiheitsentziehung stellt sich somit lediglich als ein Mittel zur leichteren Begehung der Freiheitsberaubung durch Verhinderung des zu erwartenden Widerstands des Betroffenen dar, das nicht zu einem Ausschluss des objektiven Tatbestands des § 239 I StGB führen kann.“
Wenn also ein Einverständnis nur durch List und Täuschung erschlichen wurde, ist dieses als unwirksam anzusehen.