Strafrechtsklassiker – Der Fehler während einer OP
Wenn man sich in die Hände eines Arztes begibt muss man seinem Arzt vertrauen können. Man vertraut auf sein Können und auch, dass er einen ausreichend über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt hat. Man hofft, dass während der Behandlung keine Komplikationen auftreten, aber auch, dass der Arzt keinen Fehler macht und in seiner bestmöglichen Verfassung ist. Aber kein Mensch ist ohne Fehler bzw. kann dauerhaft fehlerfrei arbeiten und es ist auch niemand immer in seiner bestmöglichen Verfassung und so passieren Fehler. Manche geben ihre Fehler zu und versuchen Schadensbegrenzung zu betreiben andere wiederrum versuchen ihren Schaden zu vertuschen.
1. Der Sachverhalt
Der Angeklagte behandelte seinen 18jährigen Patienten E, der eine zweimalige vordere Schulterluxation rechts erlitten hatte. Der Angeklagte erklärte seinem Patienten und dessen Eltern die anstehende Operation und wies darauf hin, dass sich möglicherweise eine andere Behandlungsmethode während der Operation ergeben könnte. Während der OP musste der Angeklagte einen Bohrer verwenden. Bei dem Bohrvorgang brach ihm der Bohrer ab mit der Folge, dass ein 2cm lange Bohrerstück steckenblieb. Die Bohrerspitze beeinträchtigte das Gelenk nicht und war fast vollständig im Knochen versenkt. Der Angeklagte ärgerte sich über seinen Fehler und versuchte diesen zu beheben, was jedoch nicht gelang. Er beendete die Operation und ließ das Bohrerstück in der Schulter und wies die mitoperierende Ärztin an den Fehler nicht in dem Operationsprotokoll zu erwähnen.
Nach der Operation rief der Angeklagte den Vater des Patienten an und berichtete ihm die Operation sei gut verlaufen. Die abgebrochene Bohrerspitze erwähnte er bewusst nicht.
Am Abend des Operationstages empfahl der Angeklagte seinem überraschten Patienten erneut zu operieren. Er habe bei der OP festgestellt, dass auch an einer anderen Stelle der Schulter eine Instabilität bestehe. Wenn er ein 100% Ergebnis wolle, sei die zweite OP ebenfalls notwendig. Den Bohrerabbruch erwähnte der Angeklagte dabei bewusst nicht. Auch bei einem erneuten Beratungsgespräch mit den Eltern des Geschädigten beharrte der Angeklagte auf der Notwendigkeit der zweiten OP. Auch in diesem Gespräch erfolgte kein Hinweis auf den abgebrochenen Bohrer.
Vier Tage später erfolgte die zweite OP, in der der Angeklagte die Bohrerspitze barg. In dem Operationsprotokoll wurde dies mit keinem Wort erwähnt. Auch in den Operationsberichten fand sich nichts über den Inhalt der Operation wider.
Was wirklich während der OP passierte erfuhr der Geschädigte erst ein Jahr später durch Dritte.
In dem Verfahren vor dem Landgericht stellte ein Sachverständige fest, dass die zweite OP ausschließlich für die Bergung der Bohrerspitze notwendig gewesen ist. Der Angeklagte wollte das Bohrerstück nicht im Körper seines Patienten belassen und wollte nicht, dass er von dem Abbruch des Bohrers erfährt. Der Angeklagte spiegelte dem Patienten wahrheitswidrig vor, die Operation sei notwendig für ein optimales Ergebnis. Den wahren Grund der erneuten OP verschwieg er dem Patienten bewusst, weil er die Komplikationen nicht zugeben wollte.
2. Entscheidung
Das LG hatten den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt.
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Revision ein. Damit erstrebte sie die Verurteilung des Angeklagten zu einer höheren Strafe und die Anordnung des Berufsverbots. Auch der Angeklagte legte Revision ein.
Die Nachprüfung des Urteils ergibt keine Rechtsfehler zulasten des Angeklagten. Es ist nach den Feststellungen des BGH nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer den Angeklagten nach § 223 I StGB verurteilt hat. Ärztliche Heileingriffe sind nach § 228 StGB nur dann gerechtfertigt, wenn die Einwilligung nicht beeinflusst und frei von Willensmängeln ist. Die Operation zu Bergung der Bohrspitze war nicht von der Einwilligung des E umfasst, weil der Angeklagte in dem Vorgespräch mit seinem Patienten und dessen Eltern eine andere Behandlung vorgetäuscht hat und die abgebrochene Bohrspitze bewusst nicht erwähnt hat. Auf Grund der Feststellungen, nach denen E zur Entfernung der abgebrochenen Spitze keine Einwilligung gegeben hatte, war für die Annahme, dass die Rechtswidrigkeit entfallen könnte, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt wurde und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte OP eingewilligt hätte, kein Raum.
3. Entscheidendes Problem
Das Landgericht musste damals rechtlich zwischen den beiden Operationen unterscheiden. Zum einen die tatsächlich notwendige OP, bei der der Bohrer abgebrochen ist und zum anderen die OP, bei der die Bohrerspitze wieder entfernt wurde.
Ob bei der ersten Operation bereits der Tatbestand des § 223 StGB erfüllt ist, ist dann unerheblich, wenn eine Einwilligung im Sinne von § 228 StGB vorliegt. Der E hat in die Operation einwilligt, damit er sie wieder vollständig nutzen kann. Im Rahmen dieser Einwilligung unterlag er keinerlei Willensmängel oder wurde in irgendeiner Form beeinflusst. Selbst wenn man also den objektiven Tatbestand des § 223 StGB bejaht ist der Arzt gerechtfertigt durch § 228 StGB.
Auch bei der zweiten OP ist vor allem entscheidend, ob eine Einwilligung vorliegt. Problematisch ist dabei, dass der E zwar in die OP eingewilligt hat, er aber nicht alle notwendigen Informationen zur Verfügung gestellt bekommen hat. Dadurch, dass E nicht über alle Risiken aufgeklärt wurde, unterlag er Willensmängel, sodass eine tatsächliche Einwilligung zu verneinen ist. Man könnte aber auch von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgehen. Die liegt dann vor, wenn die Handlungen des Täters im überwiegenden Interesse des Opfers stehen. Gegen die Annahme der mutmaßlichen Einwilligung spricht aber, dass der Arzt grundsätzlich verpflichtet eine tatsächliche Einwilligung einzuholen und die Regeln über die mutmaßliche Einwilligung nur in absoluten Notfällen Anwendung findet. Dem Angeklagten war es vorliegend durchaus möglich eine tatsächliche Einwilligung einzuholen, er hat es nur aus Angst vor Sanktionierung unterlassen den E ausreichend aufzuklären. Die Regeln über eine mutmaßliche Einwilligung sind also nicht anwendbar.
[1] BGH, Urteil v. 20.01.2004 – 1 StR 319/03, NStZ 2004, 442 (442).
[2] BGH, Urteil v. 01.02.1961 – 2 StR 457/60, NJW 1962, 682 (684).
[3] BGH, Beschluss v. 15.10.2003 – 1 StR 300/03, NStZ-RR 2004, 16 (17).
[4] Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder StGB, § 223, Rn. 38g.
[5] Joecks, in: MüKO StGB, § 223, Rn. 109.