Abrechnungsbetrug von Ärzten und Krankenkassen

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Ein Stethoskop neben einem Laptop auf einem weißen Tisch in Hamburg.

Abrechnungsbetrug von Ärzten und Krankenkassen

Das ärztliche Abrechnungssystem gilt als ausgesprochen komplex und undurchsichtig. Die Schadenssummen sind regelmäßig sehr hoch und haben sich als ernsthafte Gefahr für das Krankenversicherungssystem entpuppt.

Eine Rechnungslegung findet weitestgehend ohne wirksame Kontrollen statt. Grundsätzlich beruht das gesamte System auf einem Vertrauen zwischen den Beteiligten.

Wie der Arzt den Patienten behandelt weiß bestenfalls der Patient. Dieser sieht hingegen die Rechnung nicht und weiß nicht, was genau in Rechnung gestellt wird. Die Kassenärztliche Vereinigung weiß nur, was sie der Rechnung entnehmen kann. Darüber hinaus muss sie dem Arzt vertrauen. 

1. Abrechnung nicht oder fehlerhaft erbrachter Leistungen

Eine entscheidende Fallgruppe des Abrechnungsbetrugs betrifft die Abrechnung nicht oder fehlerhaft erbrachter Leistungen. Dabei ist regelmäßig der Nachweis des Vorsatzes problematisch. Voraussetzung für den Vorsatz ist, dass der Täter die schadensbegründenden Umstände kannte und in der Annahme handelte, eine Zahlung in der geltend gemachten Höhe beanspruchen zu können.

Eine Abrechnung tatsächlich nicht erbrachter Leistungen, also fingierter Leistungen sind sogenannte „Luftleistungen“. Darunter zählen Hinzusetzen von Gebührenziffern, Eintragung falscher Diagnosen, oder Abrechnung von Leistungen ohne die dafür vorhandene Praxisausstattung und Abrechnung von Leistungen für bereits verstorbene Patienten.

Gerade wegen der Undurchsichtigkeit und Komplexität kann es durchaus sein, dass Falschabrechnungen unbewusst durchgeführt werden. Erschwert wird die Feststellung des Vorsatzes durch die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit.

Für einen Vorsatz sprechen Vorgaben an Mitarbeiter und Absprachen mit Patienten, die gegen das Gesetz verstoßen, ein systematisches Vorgehen der wiederholten Falschabrechnung und das Anwenden offensichtlich unvertretbarer leistungsbezogener Positionen. Geht der Arzt von der Richtigkeit seiner Abrechnung aus, lässt sich Vorsatz auch dann nicht bejahen, wenn ihm selbst Zweifel an der Richtigkeit gekommen sind.

Der BGH hat in einem Urteil im Jahr 2012 entschieden, dass ein privatliquidierender Arzt eine vorsätzliche Täuschung begangen hat, wenn er persönlich nicht erbrachte Speziallaborleistungen ohne Approbation oder Erlaubnis nach dem HeilPRG abgerechnet hat. Dem angeklagten Arzt war bewusst, dass er zur Liquidation nicht berechtigt war und sich zu Unrecht bereicherte, indem er eine in Wahrheit nicht bestehende Zahlungsverpflichtung vortäuschte. Dadurch macht er sich wegen Betruges strafbar.

Im erstgenannten Fall dem sogenannten „Upcoding“ werden Diagnosen von Patienten verschlimmert, damit die Krankenkassen eine höhere Zuweisung aus dem Gesundheitsfond des Morbiditäts-Risikostrukturierungsausgleichs erhalten. Dabei findet eine Form der unrichtigen Verschlüsselung von Krankenhausleistungen im Rahmen der Diagnose und Therapie, die eine höhere Vergütung auslöst, statt.

Besondere juristische Probleme bereitet dabei die Grenzziehung zwischen zulässiger Optimierung der Vergütung und strafbarer Abrechnungsmanipulation. Problematisch wird es dann, wenn es um die Auslegung des jeweiligen Codierungsschlüssels geht, weil Krankenhäuser und der medizinische Dienst der Krankenhausversicherung über die Auslegung der vorgegebenen Prozeduren- und Diagnoseschlüssel regelmäßig unterschiedliche Ansichten vertreten. Fälle des Upcodings sind wegen der enormen Abrechnungsmasse nur schwer zu verfolgen. Ein Betrug ist gem. § 263 StGB auch dann nur anzunehmen, wenn der Arzt Vorsatz bezüglich der Täuschungshandlung hatte.

Im zweitgenannten Fall der fehlenden Aufklärung von Falschabrechnungen hat der Arzt zunächst falsch abgerechnet und mit der Rechnung konkludent einen falschen Sachverhalt erklärt und seinen Fehler erst später erkannt. Wenn der Arzt später eine Korrektur unterlässt, könnte man davon ausgehen, dass es sich nicht um ein aktives Tun handelt, sondern um ein Unterlassen nach § 13 StGB handelt. Damit eine Straftat durch Unterlassen möglich ist, müsste eine Garantenpflicht bestehen. Ob ein Arzt eine Garantenpflicht hat, hängt davon ab, ob er eine „Pflicht zur Wahrheit“ hinsichtlich vermögensrelevanter Tatsachen hat. Allein das Verstreichenlassen der Möglichkeit der Aufklärung zum Maßstab für die Strafbarkeit zu machen, würde den Begriff der Garantenstellung zu sehr erweitern. Nach ständiger Rechtsprechung begeht jemand dann einen Betrug durch Unterlassen, wenn er „unvorsätzlich in einem anderen einen Irrtum erregt und ihn dann zu seinem Vorteil ausnutzt“. In diesem Fall ergibt sich die Garantenstellung dann aus Ingerenz. 

Bei einer fehlenden Aufklärung von Falschabrechnung könnte sich eine Garantenstellung daraus ergeben, dass der Arzt den Irrtum unvorsätzlich durch falsches Abrechnungsverhalten herbeiführt und ihn dann zu seinem Vorteil ausnutzt, indem er sich den überhöhten Betrag durch die Krankenkasse auszahlen lässt. Das pflichtwidrige Vorverhalten liegt dabei in der objektiven Täuschungshandlung, wodurch eine Garantenstellung aus Ingerenz zu bejahen wäre.

Im Übrigen könnte eine Strafbarkeit wegen Untreue gem. § 266 StGB in Betracht kommen. Dies wäre dann der Fall, wenn der Arzt eine Vermögensbetreuungspflicht hätte. Der BGH geht bis heute davon aus, dass der Vertragsarzt ein Vertreter der Krankenkasse ist und ihr gegenüber eine Vermögensbetreuungspflicht besteht. Die Gegenauffassung geht davon aus, dass es für den Arzt gerade keine Hauptpflicht sei, die Vermögensinteressen der Krankenkassen wahrzunehmen, sondern Patienten medizinisch zu versorgen und Heilkunde auszuüben.

3. Fazit

Im Gesundheitssystem werden enorme Umsätze erwirtschaftet. Vielleicht werden gerade deshalb Vertreter des Gesundheitssystems immer wieder dazu verleitet Abrechnungsvorgänge zu manipulieren. Aufgrund der Komplexität der Abrechnungen ist die Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung des Betrugs auch eher gering. Gerade der Nachweis des Vorsatzes stellt sich als ausgesprochen schwierig heraus. Nichtsdestotrotz sollte das Abrechnungssystem optimiert werden und dafür gesorgt werden, dass das System durchsichtiger wird, damit eine objektive Kontrolle möglich wird. 

[1] Ulsenheimer, in: Arztstrafrecht in der Praxis, Teil 14, Rn. 1075.
[2] Sommer, Tsambikakis, in: Terbille/Clausen/Schroeder-Printzen, Anwaltshandbuch Medizinrecht, § 3, Rn. 121.
[3] Magnus, in: Aktuelle Probleme des Abrechnungsbetrugs, NStZ 2017, 249 (250).
[4] Magnus, in: Aktuelle Probleme des Abrechnungsbetrugs, NStZ 2017, 249 (250).
[5] Ulsenheimer, in: Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztes, § 151, Rn. 31.
[6] BGH, Beschluss v. 25.01.2012 – 1 StR 45/11, NJW 2012, 1377 (182).
[7] Dürr, in: Ohrfeige für die Kassen, Allgemeinarzt-Online, https://www.allgemeinarzt-online.de/archiv/a/upcoding-ohrfeige-fuer-die-kassen-1826958, abgerufen am 15.10.20.
[8] Magnus, in: Aktuelle Probleme des Abrechnungsbetrugs, NStZ 2017, 249 (250).
[9] Volk, in: Zum Schaden beim Abrechnungsbetrug – Das Verhältnis von Strafrecht und Sozialversicherungsrecht, NJW 2000, 3385 (3385).
[10] Magnus, in: Aktuelle Probleme des Abrechnungsbetrugs, NStZ 2017, 249 (252).
[11] OLG Stuttgart, Urteil v. 30.04.1969 – 1 Ss 166/69, NJW 1969,1975 (1975).
[12] Magnus, in: Aktuelle Probleme des Abrechnungsbetrugs, NStZ 2017, 249 (252).
[13] Sommer/Tsambikakis, in: Münchener Anwaltshandbuch Medizinrecht, Clausen/Schroeder-Printzen, § 3, Rn. 155.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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