Polizistinnen fliehen vor Schießerei
Dass der Beruf eines Polizisten mit vielen Gefahren einhergeht, ist weder für Polizeianwärter, noch für die breite Öffentlichkeit überraschend. Gerade deshalb ist es für den einzelnen Polizeibeamten entscheidend, dass er sich auf seine Kollegen immer und in jeder Situation verlassen kann. Dass das leider nicht immer der Fall ist, zeigt ein Fall aus NRW.
Was war passiert?
Zwei Polizeibeamten führten in der Tatnacht gegen 23:41 Uhr eine allgemeine Verkehrskontrolle durch. Zunächst verhielt sich der Kontrollierte den Beamten gegenüber kooperativ, um dann zu seinem Fahrzeug zu laufen und aus dem Seitenfach eine Pistole zu holen. Aus kürzester Entfernung eröffnete er das Feuer auf den einen Beamten und traf ihn auf Höhe seiner Milz, die er nur deshalb nicht traf, weil der Beamte eine schusssichere Weste getragen hat. Durch den Druck des Projektils wurde der Polizist jedoch verletzt zu Boden geworfen.
Sodann gab der Mann weitere, an den Boden Liegenden, Schüsse ab. Nachdem der getroffene Beamte zunächst nur auf das Fahrzeug des Kontrollierten abgegeben hatte, begann er nunmehr auch auf den Schützen selber zu schießen, traf ihn aber nicht. Anschließend begann auch der andere Polizeibeamte Schüsse abzugeben.
Bei dem Feuergefecht zwischen den Beamten und dem Mann, dem die Flucht gelang, wurden insgesamt 21 Schüsse abgegeben. Die beiden Polizeibeamten, die in das Feuergefecht verwickelt gewesen sind, forderten bereits nach Fallen der ersten Schüsse Verstärkung an. Die daraufhin eintreffenden Polizeibeamtinnen parkten hinter der Kontrollstelle und flohen vom Einsatzort, obwohl sie den Schusswechsel bemerkten und zudem ausdrücklich um Hilfe gebeten wurden, anstatt ihrerseits das Feuer auf den Angreifer zu eröffnen oder Warnschüsse abzugeben. Die geladenen Maschinenpistolen, sowie das Einsatzfahrzeug ließen sie zurück. Dabei war beiden bewusst, ihre Kollegen damit zumindest der Gefahr erheblicher Verletzungen durch Schüsse des gesondert Verfolgten auszusetzen.
Das Amtsgericht hat die beiden Polizistinnen wegen gemeinschaftlicher versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt zu jeweils einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass den Angeklagten der Vorwurf gemacht werden konnte, dass sie nicht aus der Deckung heraus Abwehrmaßnahmen oder sonstige Hilfemaßnahmen getroffen haben.
Den Angeklagten war es bewusst, dass zumindest die Möglichkeit bestanden hat, dass ihre Kollegen durch die Schüsse verletzt werden könnten und nahmen dies billigend in Kauf. Die Angeklagten haben in der Hauptverhandlung vorgetragen, dass sie Todesangst gehabt hätten, und sie sich nicht darüber im Klaren gewesen seien, um wie viele Täter es sich gehandelt hätte. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass auch bei mehreren Tätern die Möglichkeit bestanden hätte, Warnschüsse abzugeben. Auch bestand die Möglichkeit, über Funk weitere Verstärkung anzufordern.
Das Amtsgericht nahm im Übrigen auch eine Garantenstellung der Polizistinnen gegenüber ihren Kollegen an. Die Angeklagten waren zum Tatzeitpunkt als Polizeibeamtinnen im Einsatz und unterlagen als solche einer Garantenpflicht. Die Angeklagten seien nach Ansicht des AG nicht verpflichtet gewesen, dem Schützen entgegen zu rennen und sich dadurch in Gefahr zu bringen, es hätten aber beide durchaus die Möglichkeit gehabt, ihren Kollegen in anderer Form zu helfen. Die Angeklagten befanden sich ca. 25 Meter entfernt vom Schützen. Es war ihnen zumindest zuzumuten, auch in der Ausnahmesituation, in der sie sich befanden, sich nicht weiter vom Tatort zu entfernen.
Bei der Bemessung der Strafe war zugunsten beider Angeklagten angenommen worden, dass sie nicht vorbestraft sind, und beide vollumfängliche Geständnisse abgelegt haben und die Tat schon einige Zeit zurücklag. Im Übrigen sei die Tat im Versuchsstadium „steckengeblieben“. In die Entscheidung über die Strafhöhe wurde im Übrigen einbezogen, dass die Angeklagten im Vorfeld von der medialen Berichterstattung vorverurteilt wurden und gewaltigen Anfeindungen gegenüberstanden. Im Übrigen hätten beide auch mit dienstrechtlichen Folgen zu rechnen.
Gegen die Entscheidung legten beide Berufung ein.
Das Landgericht Hagen hat die Vorwürfe des Amtsgerichts Schwelm bestätigt und die Angeklagten ebenfalls wegen gemeinschaftlicher versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt verurteilt. Die Strafe wurde aber durch die Berufungsinstanz zu vier Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung reduziert. Das hat zur Folge, dass die dienstrechtlichen Konsequenzen einem Disziplinarverfahren überlassen werden und ein Verlust des Jobs nicht mehr zwingend ist.
________________
[1]AG Schwelm (Strafkammer), Urteil vom 16.11.2021 – 59 Ls-500 Js 551/20-25/20, BeckRS 2021, 39526 Rn. 5.
[2]AG Schwelm (Strafkammer), Urteil vom 16.11.2021 – 59 Ls-500 Js 551/20-25/20, BeckRS 2021, 39526 Rn. 8.
[3]AG Schwelm (Strafkammer), Urteil vom 16.11.2021 – 59 Ls-500 Js 551/20-25/20, BeckRS 2021, 39526.
[4]AG Schwelm (Strafkammer), Urteil vom 16.11.2021 – 59 Ls-500 Js 551/20-25/20, BeckRS 2021, 39526 Rn. 36.
[5]AG Schwelm (Strafkammer), Urteil vom 16.11.2021 – 59 Ls-500 Js 551/20-25/20, BeckRS 2021, 39526, Rn. 41.
[6] AG Schwelm (Strafkammer), Urteil vom 16.11.2021 – 59 Ls-500 Js 551/20-25/20, BeckRS 2021, 39526, Rn. 43.