In manchen Verfahren kann es sinnvoll sein, dass der Angeklagte nicht an der Hauptverhandlung teilnimmt. In diesen Fällen muss er aber durch seinen Strafverteidiger vertreten werden. Damit der Anwalt überhaupt für seinen Mandanten tätig werden darf, benötigt dieser eine Vollmacht. Bislang war dabei unklar, ob die allgemein gültige Vollmacht ausreichend für eine Abwesenheitsvertretung in der Berufungshauptverhandlung ist.
Sachverhalt:
Das Amtsgericht hatten den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Dagegen wurde Berufung eingelegt. In dem Verfahren vor dem Landgericht war der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht erschienen. Sein Verteidiger ist aber mit einer schriftlich erteilten Strafprozessvollmacht „zur Verteidigung und Vertretung, auch im Fall … [seiner] Abwesenheit, in allen Instanzen“ aufgetreten. Das Landgericht hat daraufhin die Berufung gem. § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen, da der Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung nicht in zulässiger Weise vertreten worden war. Das Landgericht war der Ansicht, dass die allgemein gehaltene Formulierung der Vollmacht für eine dortige Vertretung nicht ausreichend sei. In der gegen diese Entscheidung gerichtete Revision berief der Angeklagte sich auf eine wirksame Vertretung in der Berufungshauptverhandlung durch seinen Verteidiger. Das mit dem Sachverhalt befasste OLG Düsseldorf wollte das angefochtene Urteil auf die Verfahrensrüge hinaufheben, sah sich aber durch einen früheren Beschluss des OLG Hamm daran gehindert. Das OLG Hamm war seinerzeit davon ausgegangen, dass angesichts der weitreichenden Folgen, die die Vertretung des abwesenden Angeklagten durch den Verteidiger haben könnte, müsse sich die Vertretungsvollmacht ausdrücklich auf eine Vertretung in der Berufungshauptverhandlung beziehen. Deshalb hat das OLG Düsseldorf die Sache nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG dem BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidung des BGH
Konkret ging es darum, dass der Angeklagten zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung abwesend war und wie mit diesem Umstand umzugehen war. Während in der ersten Instanz gegen den Angeklagten zumindest typischerweise im Fall der Abwesenheit keine Sachentscheidung getroffen wird, ordnet § 329 Abs. 1 S. 1 StPO aus prozessökonomischen Gründen an, dass die Berufung eines Angeklagten, der bei Beginn des Hauptverhandlungstermins im Berufungsverfahren weder selbst erschienen ist noch eine hinreichende Entschuldigung für sein Ausbleiben hat oder einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht geschickt hat, ohne Hauptverhandlung zu verwerfen ist. Kurz: Wenn der Angeklagte ein Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung einlegt, ist er auch dafür verantwortlich, dass er zu der Hauptverhandlung erscheint, sonst wird seine Berufung verworfen. Aus § 329 Abs. 2 S. 1 StPO ergibt sich aber, dass auch ohne den Angeklagten verhandelt werden kann, wenn er durch einen Verteidiger mich nachgewiesener Vertretungsmacht vertreten wird. Voraussetzung dafür ist aber eine nachgewiesene Vertretungsmacht des Verteidigers. Im vorliegenden Fall waren sich die beiden OLGs uneinig darüber, inwieweit die vorgelegte Vollmacht ausreichend ist.
Der BGH schloss sich dem vorlegenden OLG Düsseldorf an und verlangte für die Vertretung des abwesenden Angeklagten durch seinen Verteidiger nach § 329 I 1, II 1 StPO nicht, dass sich die vorgelegte Vertretungsvollmacht ausdrücklich auch auf die Berufungsverhandlung bezieht. Der BGH war der Meinung, dass sich ein entsprechendes Erfordernis schon nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen ließe:
„Insbesondere enthält das Gesetz keine Vorgaben zum Inhalt der Vertretungsvollmacht. Eine ausdrückliche Ermächtigung zu einer bestimmten Verfahrenshandlung ist anders als in § 302 II StPO ebenfalls nicht gefordert. Der verwendete Terminus ‚Vertretungsvollmacht‘ stellt lediglich klar, dass eine spezifische Ermächtigung zur Vertretung in der Vollmachtsurkunde enthalten sein muss, die über die allgemeine Befugnis zur Verteidigung hinausgeht.“
Auch im Hinblick auf die Historie der Vorschrift ist nach Ansicht des BGH kein entsprechendes Erfordernis zu entnehmen:
„Zwar hatte der Bundesrat im ersten Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen, eine Vollmacht für den konkreten Termin der Berufungshauptverhandlung zu verlangen … Diesem Anliegen war jedoch die Bundesregierung unter anderem mit dem Argument entgegengetreten, dass den formalen Anforderungen de lege lata gerade auch eine formularmäßige und pauschale Vertretungsvollmacht genüge … Da der Gesetzgeber die Anregung des Bundesrates nicht aufgriff, spricht vieles dafür, dass er eine nähere inhaltliche Qualifizierung der Vertretungsvollmacht nicht für erforderlich hielt.“
Im Gegensatz dazu spreche Sinn und Zweck der Vorschrift sowie die Gesetzessystematik viel eher dafür, dass eine entsprechende Vollmacht für eine Vertretung im Rahmen der Berufungshauptverhandlung ausreichend ist. So kann der Angeklagte sich bei einem Einspruch im Strafbefehlsverfahren von einem Verteidiger vertreten lassen und der BGH hatte in einer früheren Entscheidung bereits festgestellt, dass der Angeklagte sich vor dem Amtsgericht mit einer einfachen Vollmacht von seinem Verteidiger vertreten lassen kann.
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[1] BGH, Beschluss vom 24.01.2023 – 3 StR 386/21, BeckRS 2023, 3996.
[2] Kudlich: „Da schick ich mal nur meinen Vertreter“ – Vertretung in der mündlichen Berufungshauptverhandlung, JA 2023, 518(519).
[3] BGH, Beschluss vom 24.01.2023 – 3 StR 386/21, BeckRS 2023, 3996.
[4] BGH, Beschluss vom 24.01.2023 – 3 StR 386/21, BeckRS 2023, 3996.
[5] Kudlich: „Da schick ich mal nur meinen Vertreter“ – Vertretung in der mündlichen Berufungshauptverhandlung, JA 2023, 518 (520).