Deals im Strafverfahren

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Eine Silhouette eines Geschäftsmannes im Anzug, der das Konzept der Strafverteidigung Hamburg darstellt.

Deals im Strafverfahren

In den Medien wird immer häufiger von dem „Handel mit der Gerechtigkeit“, sog. „Deals“ gesprochen. Der Handel wird hier so verstanden, dass sich das Gericht auf eine geringere Strafe einlässt, wenn der Angeklagte ein Geständnis ablegt. Dies ist jedenfalls der Verfahrensabkürzung dienlich, nicht unbedingt aber der Wahrheitsfindung.
Tatsächlich ist eine Verständigung über den Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens grundsätzlich zulässig. 

Die Absprache wird definiert als „ jede Verständigung zwischen Gericht bzw. StA und Angeklagtem, die darauf gerichtet ist, das Verfahren durch wechselseitige Zugeständnisse in Bezug auf das Prozessverhalten der Beteiligten zu beschleunigen.“
Gem. § 257c ll 2 StPO soll Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis des Angeklagten sein. Dieser darf aber nicht zu einem Schuldeingeständnis gezwungen werden.

1. Verfassungskonformität

Äußerst umstritten ist dabei, ob diese Verständigung überhaupt verfassungskonform ist.
So wird diskutiert, ob die Absprachen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Verhandlung aus § 169 GVG verletzen. Sinn des Öffentlichkeitsgrundsatzes ist der Schutz vor richterlicher Willkür. Es soll verhindert werden, dass der Angeklagte „aus dem Nichts“ und „unsichtbar“ abgeurteilt wird.
Verfahrensabsprachen finden zwar nicht „hinter verschlossenen Türen“ statt, die Öffentlichkeit bekommt jedoch auch nicht die Möglichkeit die genauen Abläufe nachzuvollziehen.
Den Bedenken wird aber durch eine umfassende Protokollierungs- und Mitteilungspflicht nach § 273 l StPO in Verbindung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegengewirkt.

Auch der Gleichheitssatz aus Art. 3 I GG könnte durch die Verfahrensabsprachen verletzt werden. Unkomplizierte Verfahren werden häufig schnell abgehandelt und bekommen gar nicht erst die Chance auf eine Verfahrensabsprache. Angeklagten wird hier der Vorteil der möglichen Strafmilderung genommen. Bei komplexen Sachverhalten und dementsprechend langwierigen Verfahren wird hingegen versucht diese möglichst schnell zu beenden, weshalb in diesen Fällen Verfahrensabsprachen häufiger genutzt werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seiner Entscheidung vom 13.03.2013 festgesetzt, dass § 257c StPO zwar zulässig, jedoch nur in sehr engen Grenzen und mit enger Auslegung zu verwenden ist und damit „noch verfassungskonform“.

2. Waffengleichheit

Auch die vom EGMR geforderte Waffengleichheit aus Art. 6 l EMRK könnte bei Verfahrensabsprachen beeinträchtigt sein.
Waffengleichheit bedeutet, dass alle Verfahrensbeteiligten gleich behandelt werden müssen, also insbesondere im gleichen Umfang unterrichtet werden und unter denselben Bedingungen die Möglichkeit haben vorzutragen und ihre Sache geltend zu machen.
Der Angeklagte verfügt nicht über das gleiche Wissen über die Möglichkeiten und Regeln im Strafverfahren wie die restlichen Verfahrensbeteiligten. Er kann deshalb Sinn, Nutzen und Gefahren einer solchen Absprache nur schwer erkennen, bewerten und abwägen. Es liegt damit grundsätzlich ein Ungleichgewicht vor, welches es zu beheben gilt.

In Deutschland ist die Waffengleichheit nicht ausdrücklich normiert, der Beschuldigte hat lediglich einen Anspruch auf rechtliches Gehör aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 103 l GG, welches als Urrecht gilt.
Allerdings nutzt das BVerfG den Begriff der Waffengleichheit trotzdem. Es leitet den Anspruch darauf Waffengleichheit aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ab.
Der materielle Begriff der Waffengleichheit, wie ihn das BVerfG nutzt, ist jedoch nicht eindeutig. Vor allem ist das Verhältnis zwischen StA, Verteidigung und Angeklagtem betroffen. Dabei geht es nicht um die absolute Gleichheit der Rechte der Verfahrensbeteiligten, sondern lediglich darum deren Möglichkeiten unter Berücksichtigung der Verschiedenartigkeit ihrer Prozessrollen auszubalancieren.
Waffengleichheit bedeutet nach einer zivilrechtlichen Entscheidung des EGMR, „dass jeder Partei eine vernünftige Möglichkeit eingeräumt werden muss ihren Fall […]vor Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die für diese Partei keinen substanziellen Nachteil im Verhältnis zu seinem Prozessgegner bedeutet.“. Diese Definition wird vom EGMR auf strafrechtliche Verfahren übertragen.
Die Meinungen in der Literatur reichen von vorwiegend ablehnend bis hin zu einer Forderung auf Vorrangstellung für den Grundsatz der Waffengleichheit. Dieser wird verstanden als rechtsstaatliches Erfordernis, insbesondere aber auch als Auftrag an die Gesetzgebung, das Verfahren entsprechend diesem Grundsatz zu gestalten.

3. Auswirkung auf die Beweiserhebung

Eine Verständigung über den weiteren Fortgang des Verfahrens dient in der Regel der Verfahrensabkürzung. In der Folge werden nicht alle Beweise erhoben, nicht alle Sichtweisen kommen zur Sprache. Eine Verletzung der Amtsaufklärungspflicht droht ebenso wie ein Handel mit der Gerechtigkeit. Staatsanwaltliche Ermittlungsergebnisse erlangen deutlich höhere Bedeutung und die Hauptverhandlung an sich tritt ebenso zurück wie die Findung der materiellen Wahrheit nach § 244 II StPO.
Das BVerfG etablierte extra für die Verfahrensabsprache eigene Beweiswürdigungsregeln. So muss das Tatgericht das Geständnis des Angeklagten an Hand der Beweiserhebung aus der Hauptverhandlung überprüfen.

4. Zulässigkeit der Absprachen

Materiell rechtlich ist zu problematisieren, dass auf Grund der Absprachen eventuell eine inadäquate Strafe verhängt wird. Grundsätzlich verhängt das Gericht die Strafe, die es für Tat- und Schuldangemessen hält. Wird jedoch über den Sachverhalt und die Strafe verhandelt und legt der Angeklagte ein Geständnis ab, wird das Gericht dem Angeklagten entgegenkommen und eine geringere Strafe verhängen, als es unter anderen Umständen getan hätte.
Der Schuldspruch an sich, sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen ebenso wenig abgesprochen werden wie alles, was nicht in die Kompetenz der Strafgerichte fällt.
Das Gericht hat in der Absprache einen Strafrahmen zu setzen, dabei müssen sowohl Ober- als auch Untergrenzen festgelegt werden, eine Punktstrafe ist unzulässig. Gem. § 257c ll 2 StPO sollte der Angeklagte für eine Verständigung ein Geständnis ablegen. Es muss überprüft werden, ob das Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis vereinbar und in sich stimmig ist sowie die getroffenen Feststellungen trägt.

[1]Peter Müller in Welt, „Deals- Der Handel mit der Gerechtigkeit“, URL: https://www.welt.de/politik/article3118227/Deals-Der-Handel-mit-der-Gerechtigkeit.html (Stand 13.11.2020).
[2] Rothe/Szalai, in: Der Deal im Strafprozess- Sunlight is the best disinfectant? NJOZ 2013, 1801.
[3] BVerfG, Urteil v. 19.3.2013 2BvR 2628/10, 2BvR 2883/10, 2BvR 2155/11 in NJW 2013, 1058, Rn. 60 bb.
[4] Hettinger, JZ 2011, 292 (295).
[5] Montesquieu, Vom Geist der Gesetze I, 1748, Buch IX, Kap. 6 S.325.
[6] Jahn/Müller, in: Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren – Legitimation und Reglementierung der Absprachepraxis, NJW 2009, 2625 (2627).
[7] Nestler-Tremel, in: Der Deal aus der Perspektive des Beschuldigten, KJ 1989, 448 (454).
[8] BVerfG, Urt. v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058(1070).
[9] Jahn/Kundlich, in: MüKo StPO, 1. Aufl. 2014, § 257c Rn.21.
[10] Beulke/Swoboda, in: Zur Verletzung des Fair-trial-Grundsatzes bei Absprache im Strafprozess, JZ 2005, 67.
[11] EGMR 22.02.1996- 17358/90, Slg 96-II Rn. 47- Bulut/Österreich.
[12] Safferling, in: Audiatur et altera pars- die prozessuale Waffengleichheit als Prozessprinzip? NStZ 2004, 181 (184).
[13] BVerfG, Bes. v. 1.8.2017 – 2BvR 3068/14 in BVerfGE 63, 45, (61).
[14] Safferling, in; Audiatur et altera pars- die prozessuale Waffengleichheit als Prozessprinzip? NStZ 2004, 181 (184).
[15] EGMR, Urteil vom 27-10-1993 – 37/1992/382/460 in NJW 1995, 1413
[16] EGMR Bulut/Österreich Rep. 1996-II, § 48; Lanz/Österreich – 24430/94 v. 31. 1. 2002, § 57; Ankerl/Schweiz 23. 10. 1996, Rep. 1996-V, § 38.
[17] Ambos, Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und Verfahrensrechte, Vortrag auf der Strafrechtslehrertagung, 2003, S. 125.
[18] Safferling, in: Audiatur et altera pars- die prozessuale Waffengleichheit als Prozessprinzip? NStZ 2004, 181 (186).
[19] Wohlers, in: Das Strafverfahren in den Zeiten der Eilkrankheit, NJW 10, 2474 (2474).
[20] Wohlers, in: Das Strafverfahren in den Zeiten der Eilkrankheit, NJW 10, 2474 (2474).
[21] Jahn/Kudlich, in: MüKo StPO, 1.Aufl. 2014, § 257c Rn.25.
[22] BGH, Urteil v. 16.3.2011 – 1 StR 60/11, StV 2012, 134 (134).
[23] Moldenhauer/Wenske, in: KK-StPO, 7. Aufl. 2013, § 257c Rn.18.
[24] BGH, Beschluss v. 11.10.2010 – 1 StR 359/10, NStZ 2011, 170 (171).
[25] BGH, Beschluss v. 11.10.2010- 1 StR 359/10, NStZ 2011, 170(171).
[26] BVerfG, Urteil v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10, NJW 2013, 1058 (1069).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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