Das Rechtssystem in der DDR

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Hinter einem Stacheldrahtzaun steht unter einem klaren blauen Himmel ein weißer Wachturm mit zerbrochenen Fenstern. Der Turm weist Anzeichen von Verfall auf, die Farbe blättert ab. Im Vordergrund sind eine zweite Zaunschicht und freiliegende Kabel zu sehen. Im Hintergrund sind Bäume zu sehen.

Das staatliche System der DDR gibt es in Deutschland zum Glück schon lange nicht mehr. Trotzdem lohnt es sich, einen Blick auf das juristische (Unrechts-)System zu werfen. 

Die DDR-Justiz wurde im Geiste der marxistisch-leninistischen Rechtstheorie weniger als Kontrollorgan staatlichen und privaten Handelns, sondern vielmehr als Vollstreckungsorgan des Willens der herrschenden Sozialistischen Einheitspartei (SED) gesehen. In politisch wichtigen Prozessen wurde weitgehend ein strikter Gehorsam gegenüber den Vorgaben der Partei geübt. Rechte von Oppositionellen wurden nicht nur in Strafverfahren erheblich beschnitten.

 

Die Wahl von Richtern und Staatsanwälten in der DDR

 

Grundsätzlich wurde in der DDR großer Wert auf die Auswahl „bewusster Genossen“ für die Justizlaufbahn Richter und Staatsanwälte gelegt. Sie sollten zunächst in der Volkswirtschaft bei einer Berufsausbildung oder einem Vorpraktikum Lebenserfahrung sammeln und wurden dann an die wenigen Jura-Studienplätze der Universitäten delegiert. Bei der Auswahl der Jura-Studenten, wie auch bei deren späterer Berufslenkung wirkten Justizministerium, SED und auch die Stasi entscheidend mit. Das Jurastudium gehörte zu den am stärksten reglementierten und politisch-ideologisch ausgerichteten Studiengängen in der DDR, so mussten Kurse wie Wissenschaftlicher Kommunismus/ Grundlehren der Geschichte der Arbeiterbewegung oder Marxistisch-leninistische Ethik belegt werden.

Im Gegensatz zu heute wurden die Richter und Staatsanwälte nicht auf Lebenszeit ernannt, sondern alle vier bis fünf Jahre neu gewählt. Das hatte zur Folge, dass die Richterstellen nicht übermäßig beliebt waren, weil die Richter zu einem hohen Anteil aus SED-Mitgliedern bestand und diese nicht nur Recht sprechen mussten, sondern auch aktiv Parteibeschlüsse verwirklichen und die Einheit und Reinheit der Partei schützen. Wer als Richter mit seiner Rechtsprechung unangenehm auffiel, schied zum nächsten Wahltermin aus dem Richteramt aus oder wurde (sehr selten) abberufen und durfte beispielsweise als einer der zahlreichen Justiziare in einem Betrieb oder einer Behörde arbeiten. In Ausnahmefällen wurde der nicht parteikonforme Richter sogar abgeurteilt.

 

Rechtsanwälte in der DDR

 

Laut Berufsrecht erfolgte die Zulassung zum Anwaltsberuf durch den Aufnahmebeschluss durch das Kollegium. In Wirklichkeit filterten Justizministerium, SED und Stasi die Bewerber vor. Einzelzulassungen waren sehr selten (etwa 20 republikweit!) und wurden meist für Rechtsanwälte vergeben, an denen SED und Stasi ein Interesse hatten. Rechtsanwalt war auch in der DDR ein privilegierter Beruf mit recht hohem Einkommen bei relativer Selbständigkeit. Bis in die 1950/60er Jahre herrschte in der Justiz eine große Anwaltsfeindlichkeit, die Pflichtverteidiger hatten zumindest in politischen Strafverfahren keine echte Einwirkungsmöglichkeit. Seit Ende der 1950er Jahre galt das Leitbild vom „sozialistischen Anwalt“. In der Ära Honecker stieg der Anteil der SED-Mitglieder auf deutlich über 50 %. Ein Teil der Anwälte unterhielt eine Beziehung zur Staatssicherheit als inoffizieller Mitarbeiter oder auf andere Weise.

 

Die Stasi als Strafverfolgungsorgan

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS, Stasi) war in der DDR, neben Polizei und Zoll, laut Strafprozessordnung von 1968 ein eigenes Untersuchungsorgan, also eine Strafverfolgungsbehörde. Die Hauptabteilung der Stasi war zuständig unter anderem für Ermittlungsverfahren in allen Fällen mit politischer Bedeutung. 

 

Die Rechtsanwendung in der DDR

Eine unabhängige Justiz mit neutralen Richtern als Teil eines bürgerlich-demokratischen Systems der Gewaltenteilung gab es in der DDR nicht. Viele Richter waren zugleich Abgeordnete in der Legislative. Das Oberste Gericht galt als Parlamentsorgan der Volkskammer. Andererseits bestand gegenüber Gesetzen der Volkskammer kein richterliches Prüfungsrecht. Die Gewaltenteilung war auch nicht beabsichtigt, da es dem sozialistischen Staatsverständnis vom „demokratischen Zentralismus“ völlig widersprach. Vielmehr war die Justiz nur eines der Machtmittel der SED zum Aufbau des Sozialismus in der DDR. m Bereich des politisch motivierten Strafrechts herrschte Willkür, insbesondere in den Jahren des Kalten Krieges. Die Bestrafung wegen „Kriegs- und Boykotthetze“ wurde 1950 unmittelbar auf die DDR-Verfassung gestützt, obwohl es dort keine konkrete Strafdrohung gab. Das Recht auf den gesetzlichen Richter war durch Polizei und Stasi manipulierbar durch den besonderen Gerichtsstand des Ortes der Untersuchungshaft. Höhere Gerichte hatten das Recht, jede Strafsache an sich zu ziehen, und öffentliche Geschäftsverteilungspläne waren an den Gerichten unbekannt.

 

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[1] DDR-Justiz, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/DDR-Justiz, abgerufen am 05.06.2024.
[2] Christian Booß: Im goldenen Käfig. Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess. Göttingen 2017.
[3] DDR-Justiz, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/DDR-Justiz, abgerufen am 05.06.2024.
[4] DDR-Justiz, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/DDR-Justiz, abgerufen am 05.06.2024.
[5] DDR-Justiz, Wikipedia, Staatsicherheit als Strafverfolgungsbehörde, https://de.wikipedia.org/wiki/DDR-Justiz, abgerufen am 05.06.2024.
[6] DDR-Justiz, Wikipedia, Rechtsanwendung, https://de.wikipedia.org/wiki/DDR-Justiz, abgerufen am 05.06.2024.

 

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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