Beginn der Hauptverhandlung

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Ein Bild einer Bronzestatue der Justitia. Die Statue zeigt eine Frau mit verbundenen Augen, die in ihrer linken Hand eine Waage und in ihrer rechten Hand ein Schwert hält. Im Hintergrund ist eine verschwommene Bürokulisse mit einigen Papieren und Dekorationen zu sehen.

In großen Strafprozessen vor der großen Strafkammer oder dem Schöffengericht sitzen neben dem eigentlichen Richter noch Schöffen, die keinerlei juristische Vorbildung haben, aber die gleiche Stimmgewalt haben wie der Richter. Auch wenn der Schöffe keine juristische Ausbildung hat, umfasst das Recht auf einen gesetzlichen Richter auch die Anwesenheit in der Hauptverhandlung dieser Schöffen. 

Für die Entscheidung, ob das Recht auf einen gesetzlichen Richter durch Abwesenheit in der Hauptverhandlung verletzt ist, ist entscheidend, wann genau die Hauptverhandlung beginnt. Dazu hat der BGH nunmehr eine Entscheidung veröffentlicht. 

 

Der Sachverhalt

 

Das LG Köln hat mit Urteil vom 16.5.2022 den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit bandenmäßigem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. 

Nachdem aufgrund einer Covid-Erkrankung des Vorsitzenden der ursprünglich anberaumte Termin zur Hauptverhandlung nebst Fortsetzungsterminen am 21.3.2022 durch den stellvertretenden Vorsitzenden aufgehoben worden war, legte er den mit den Verfahrensbeteiligten abgesprochenen Beginn der Hauptverhandlung auf den 8.4.2022, mit Fortsetzungsterminen am 11., 12. und 26.4., 3., 5. und 8.5.2022, fest. Da der 8.4.2022 kein regulärer Sitzungstag der Strafkammer war, wurden ihr am 30.3.2022 die Ersatzschöffen D und B zugewiesen. Die Gerichtsbesetzung wurde den Beteiligten mit Verfügung vom 31.3.2022 mitgeteilt. Dem Wahlverteidiger ist die Besetzungsmitteilung am 31.3.2022 zugegangen, der Pflichtverteidigerin am 4.4.2022.

Am Nachmittag des 5.4.2022 teilte der Verteidiger des vormaligen Mitangeklagten H dem Vorsitzenden mit, H sei als Kontaktperson eines Covid-Erkrankten in der Justizvollzugsanstalt in Quarantäne und zwei Tage später mittels PCR-Test auch positiv getestet worden.

Der Vorsitzende benachrichtigte die Verfahrensbeteiligten per E-Mail daraufhin, dass die Sache am kommenden Tag dennoch aufgerufen werden solle; gegebenenfalls könne ein Rechtsgespräch geführt werden.

Eine Anfrage des Verteidigers des Mitangeklagten H auf Verschiebung des angesetzten Termins auf den Nachmittag lehnte der Vorsitzende ab mit dem Hinweis, es sollten sowieso nur Rechtsgespräche geführt werden.

Am 8.4.2022 rief der Vorsitzende die Sache um 12.49 Uhr auf. Als Schöffen wirkten die ehrenamtlichen Richter D und B mit. Der Vorsitzende stellte die Anwesenheit der Angeklagten und ihrer Verteidiger sowie zudem fest, dass die geänderte Gerichtsbesetzung bereits vorab schriftlich mitgeteilt und nicht mehr geändert worden sei. Abschließend gab der Vorsitzende bekannt, dass das Verfahren hinsichtlich des Mitangeklagten H nicht abgetrennt, sondern abgewartet werden solle, wie die Covid-19-Erkrankung verlaufe.

Im Anschluss führte die Strafkammer einschließlich der Schöffen außerhalb der Hauptverhandlung mit den weiteren Verfahrensbeteiligten ein nichtöffentliches Rechtsgespräch.

Die Revision beanstandet, der Vorsitzende habe sich in rechtsfehlerhafter Weise entschieden, den für den Folgetag anberaumten Termin gleichwohl aufrechtzuerhalten, wobei die Durchführung einer Hauptverhandlung im strafprozessualen Sinne nicht beabsichtigt war. Eine solche habe am ersten Verhandlungstag tatsächlich auch nicht stattgefunden. Bei dem Termin am 8.4.2022 habe es sich um einen „Scheintermin“ gehandelt, weil nicht iSd § 229 StPO zur Sache verhandelt und keine anderen der in § 243 StPO genannten Handlungen vorgenommen worden seien. Die Entscheidung des Vorsitzenden, die Sache trotz der bekannten Abwesenheit des Mitangeklagten H aufzurufen, beruhe auf einer „grundlegenden Verkennung des Rechts des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter“.

Tatsächlich habe die Hauptverhandlung deshalb nicht am 8.4.2022, sondern erst am 26.4.2022 begonnen. Deshalb hätten auch die für den 25.4.2022 als ordentlichen Sitzungstag der Strafkammer bestimmten Schöffen Z und Bä am Urteil mitwirken müssen.

 

Gegen dieses Urteil wandte sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügte.

 

Die Entscheidung des BGH

 

Die Revision hatte jedoch keinen Erfolg. 

Mit der Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte, er sei gem. § 338 Nr. 1 StPO seinem gesetzlichen Richter entzogen worden, weil die Strafkammer mit den am Urteil mitwirkenden Schöffen D und B nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.

 

Die Hauptverhandlung hat am 8.4.2022 mit dem Aufruf der Sache begonnen; damit waren die für diesen Sitzungstag bestimmten Schöffen D und B zur Verhandlung und Entscheidung in der Sache berufen.

Den Beginn einer Hauptverhandlung knüpft § 243 I 1 StPO ausschließlich an den Aufruf der Sache. Weitere Erfordernisse, die für den Beginn einer Hauptverhandlung konstitutiv wären, nennt das Gesetz nicht. Soweit ersichtlich fordern weder Rechtsprechung noch Schrifttum einen zusätzlichen materiellen Gehalt des sich an den Aufruf der Sache anschließenden Prozessgeschehens, noch wird von ihnen der Beginn der Hauptverhandlung infrage gestellt, wenn zur Teilnahme verpflichtete Personen nicht erschienen sind.

Auch § 230 I StPO, wonach gegen einen ausgebliebenen Angeklagten eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, führt zu keinem anderen Ergebnis. § 230 I StPO beschreibt mit der Anwesenheit des Angeklagten nicht etwa eine begriffliche Voraussetzung der „Hauptverhandlung”; die Vorschrift bestimmt vielmehr, dass eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten in seiner Abwesenheit nicht durchgeführt werden darf.

__________
[1] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523).
[2] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 12).
[3] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 13).
[4] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 14).
[5] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 15).
[6] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 16).
[7] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 17).
[8] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 19).
[9] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 20).
[10] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 26).
[11] BGH, Urteil vom 9. 8. 2007 – 3 StR 96/07, NJW 2007, 3364 (3364).
[12] BGH, Urteil vom 17.1.2024 – 2 StR 459/22, NJW 2024, 1523 (1523 Rn. 31).

 

 

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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