Der Erlaubnis­tat­bestands­irrtum

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Ein Mann mit einem Fragezeichen im Gesicht sucht Strafverteidigung in Hamburg.

Der Erlaubnistatbestandsirrtum

Bei Studenten gefürchtet, von Professoren geliebt und von Praktikern gemieden. Der Erlaubnistatbestandsirrtum ist einer der kompliziertesten Konstrukte im deutschen Strafrecht. 

Grundsätzlich geht es um einen Irrtum, bei dem der Täter irrig annimmt sein Verhalten sei von einem Rechtfertigungsgrund gedeckt.

 

1. Probleme des ETI

Größtes Problem bei der Frage, ob der Täter in Irrtum über Rechtfertigungsgründe war, ist die rechtliche Einordnung dieses Irrtums. 

Einigkeit herrscht darüber, dass es einen Irrtum über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes gibt. 

Zur verdeutlich nachfolgendes Beispiel: 

Der Täter geht spät abends bei schlechten Sichtverhältnissen spazieren. Auf einmal spricht ihn ein Mann an und will ihn nach dem Weg fragen, wobei er an seine Jacke gehen will um sein Handy rauszuholen. Der Täter geht aber irrig davon aus, der Mann wolle ihn ausrauben und hole ein Messer aus seiner Jacke. Aus Angst vor einem Angriff, schlägt er den Mann nieder. 

Betrachtet man objektiv den Sachverhalt, hat der Täter einen unschuldigen Mann niedergeschlagen, ohne dass eine Gefahr vorgelegen hätte. Subjektiv hat der Täter sich aber vorgestellt, er würde ausgeraubt und wäre in Gefahr vor einer Messerstecherei. Hätte dieser Umstand vorgelegen, hätte er ein Notwehrrecht gehabt und wäre straffrei gewesen. Er irrte also über das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. 

Problematisch ist, dass dieser Irrtum nicht gesetzlich normiert ist. Deshalb wird die rechtliche Einordnung zwischen Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich vorgenommen.

Nach der Vorsatztheorie ist der Vorsatz ein Schuldmerkmal. Vorsätzlich handelt also nur derjenige, der um die Tatbestandsverwirklichung weiß und sich des Unrechts des Tuns bewusst ist. Nach dieser Theorie schließt der ETI den Vorsatz immer aus.

Diese Lösung widerspricht jedoch der gesetzgeberischen Entscheidung, die in § 17 StGB mit der Regelung über den Verbotsirrtum zum Ausdruck kommt.

Die Schuldtheorie trennt hingegen zwischen Unrechtsbewusstsein und Tatumstandskenntnis. Dieses Modell liegt § 17 StGB zugrunde. 

Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen geht davon aus, dass Bezugspunkte des Vorsatzes nicht nur die Merkmale des gesetzlichen Strafandrohungstatbestandes sind, sondern zugleich die rechtfertigenden Umstände. Erst durch das Vorliegen von positiven Tatumständen und das Fehlen von Umständen ergeben eine abschließende Beschreibung des Unrechts. Umgekehrt besteht das Handlungsunrecht aus der Vorstellung der positiven Tatumstände und dem Fehlen einer Vorstellung über das Vorliegen rechtfertigender Umstände. Wenn die Vorstellung über das Vorliegen rechtfertigender Umstände fehlt, gehört dies zum Vorsatz. Das hat zur Folge, dass nach dieser Lehre § 16 StGB für den ETI unmittelbar anwendbar ist. 

Bei der strengen Schuldtheorie hingegen wird ein Verbotsirrtum bei der irrigen Annahme der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes angenommen. Begründet wird diese Ansicht damit, dass Rechtfertigungsgründe nicht die Tatbestandsmäßigkeit, sondern allein die Rechtswidrigkeit beseitigen. Es kann also nur das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit berührt sein, wenn der Täter sich rechtfertigende Umstände vorstellt. So ein Täter verletzt im Gegensatz zum vorsatzlos handelnden Täter bewusst und gewollt ein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut.

 

In der Rechtsprechung besteht hingegen Einigkeit darüber, dass ein vollwertiger ETI die Bestrafung wegen vorsätzlicher Tatbegehung ausschließt und folgt damit im Wesentlichen der eingeschränkten und rechtsfolgenverweisenden Theorie aus der Literatur. Gelegentlich ist auch von einem Ausschluss der Vorsatzschuld die Rede.

 

2. ETI in der aktuellen Rechtsprechung

Kürzlich hat der BGH  erneut über den ETI entschieden. Dabei lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Angeklagte A hielt sich mit seiner Freundin vor eine Diskothek auf dem Fußweg auf, als sich ihnen B, X und Y näherten und in aufdringlicher Art an die Freundin des A heranrückten. Daraufhin forderte A den B selbstbewusst auf, sie in Ruhe zu lassen, worüber B sich ärgerte und mit vorgeschobener Brust, aber anliegenden Armen in dessen Richtung ging. Er wollte ihn nicht schlagen, aber mit der Masse seines Körpers wegschieben und seine Stärke demonstrieren. Als X sich B näherte, um ihn zu unterstützen, kam Y ebenfalls hinzu, allerdings um die Situation zu entschärfen. 

A glaube nunmehr aber, er werde von 3 Personen angegriffen. Weil er glaubte, dass er bei einem Faustkampf gegen die drei vermeintlichen Angreifer unterlegen wäre, zückte er ein Messer, welches er zunächst in seiner Hand verbarg. Im weiteren Verlauf ging B weiterhin auf A zu, weshalb dieser sich veranlasst sah, den B zu schlagen und verletzen ihn dabei mit dem Messer an dessen Hals. Weiterhin holte A aus um den Y zu schlagen, welcher wiederrum zu einer Schnittverletzung bei Y führte. Die jeweiligen Verletzungen waren lebensgefährlich und das Leben von Beiden konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. 

Das Landgericht hatte A wegen gefährlicher Köperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und hat das Vorliegen eines Irrtums verneint. 

Dagegen legte der Angeklagte erfolgreich Revision ein. 

Der BGH begründete seine Zurückweisung an das Landgericht damit, dass der Angeklagte in Bezug auf B zwar zutreffend davon ausging, dass eine Notwehrlage vorläge, nahm aber weiterhin an, dass auch von X und Y eine Gefahr ausgehen würde. Bei der Frage, ob der Angeklagte noch im Rahmen seines Notwehrrechts gehandelt hätte, hätte das Landgericht entsprechende Feststellungen treffen müssen. Das Landgericht hätte also nicht nur darüber entscheiden müssen, ob A sich über das Bestehen eines Angriffs irrt, sondern auch ob er sich nur über die Intensität des Angriffs irrt und damit über die Erforderlichkeit der Verteidigung.

 

[1] Nachfolgend mit ETI abgekürzt.
[2] Joecks/Kulhanek, in: MüKO zum StGB, § 16, Rn. 119.
[3] Joecks/Kulhanek, in: MüKO zum StGB, § 16, Rn. 124.
[4] Joecks/Kulhanek, in: MüKO zum StGB, § 16, Rn. 125.
[5] Joecks/Kulhanek, in: MüKO zum StGB, § 16, Rn. 128.
[6] Schünemann, in: Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreform im Spiegel des Leipziger Kommentars und des Wiener Kommentars, GA 1985, 341 (349).
[7] Joecks/Kulhanek, in: MüKO zum StGB, § 16, Rn. 128.
[8] OLG Hamburg, Beschluss v. 16.05.1977 – 1 Ss 13/77, NJW 1977, 1831 (1832).
[9] Joecks/Kulhanek, in: MüKO zum StGB, § 16, Rn. 129.
[10] BGH, Beschluss v. 11.08.2010 – 1 StR 351/10, NStZ-RR 2011, 238 (239).
[11] BGH, Urteil v. 2.11.2011 – 2 StR 375/11, NStZ 2012, 272 (273).
[12] BGH, Beschluss v. 21.11.2019 – 4 StR 166/19, BeckRS 2019, 43717 (Rn. 3ff.).
[13] BGH, Beschluss v. 21.11.2019 – 4 StR 166/19, BeckRS 2019, 4371 (Rn. 1).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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