Der Sirius-Fall auch heute noch brisant

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Sirius-Fall

Manche Menschen haben eine solche Überzeugungskraft, dass sie Andere zu den absurdesten Handlungen bewegen können. In den meisten Fällen läuft dies verhältnismäßig harmlos ab. In seltenen Fällen kann diese Manipulationsfähigkeit jedoch zu tragischen Ergebnissen führen.

Der Angeklagte A spiegelte der von ihm abhängigen Frau F vor, er sei vom Planeten Sirius und befinde sich auf der Erde, um einige wertvolle Menschen auf seinen Planeten zu bringen. Voraussetzung dafür sei aber eine geistige und philosophische Weiterentwicklung. Um diesen Zustand zu erlangen zahlte F zunächst hohe Geldbeträge, damit ein Mönch in ihrem Sinne für die meditierte und sie transformierte. Nach Aussagen von A klappt diese Transformierung jedoch aufgrund von inneren Widerständen der F nicht, weshalb er ihr vorspiegelte, dass für sie in einem roten Raum am Genfer See ein neuer Körper auf sie warten würde, sodass sie sich von ihrem alten Körper trennen konnte. Außerdem verlangte er von ihr, dass sie eine Lebensversicherung abschloss, damit sie auch in ihrem neuen Leben Geld hätte. Dafür sollte sie den A als Bezugsberechtigten bestimmen und durch einen vorgetäuschten Unfall aus ihrem jetzigen Leben scheiden. Er versicherte ihr, dass er ihr nach Auszahlung die Versicherungssumme überbringen würde.
Nach genauer Anweisung des A versuchte die F sich alsdann zu töten, indem sie einen eingeschalteten Fön in eine mit Wasser gefüllte Badewanne fallen ließ. Sie ging dabei davon aus, dass sie lediglich ihre körperliche Hülle wechsle und ansonsten unverändert weiterleben werde. Die F überlebte.

Der BGH hat bei dem A eine versuchte Tötung in mittelbarer Täterschaft bejaht, da der F der Umstand nicht bewusst war, dass sie eine Ursache für ihren eigenen Tod setzte. Sie unterlag der zielgerichteten Täuschung des A. Dieser war Täter kraft überlegenen Wissens. Durch dieses Wissen lenkte er die F und machte sie zum Werkzeug gegen sich selbst.

Grundsätzlich ist diese Fallkonstellation jedoch in der Rechtsprechung und Literatur umstritten. 

Nach der sogenannten Schuldlösung ist §§ 3 JGG, 16,19,20, 35 StGB heranzuziehen und zieht die Grenzen für ein Verhalten aus den Exkulpationsregeln. Es liegt eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung vor, wenn das Opfer, wenn es einen Dritten getötet hätte, sich strafbar gemacht hätte. 

Die Einwilligungslösung muss eine Orientierung anhand des Rechtsgedankens der rechtfertigenden Einwilligung stattfinden. Die Anforderungen an eine Verfügung über das eigene Leben sind geringer als bei einer Verfügung über die körperliche Integrität. Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung liegt nur dann vor, wenn das Opfer verantwortungsfähig ist und wenn die Entscheidung keine wesentlichen Willensmängel aufweist, also sie weder durch Täuschung noch durch Drohung oder Zwang zustande gekommen ist.

Im vorlegenden Fall war der F nicht bewusst, dass sie sich durch die Handlung töten werde. Sie ging eher davon aus, dass sie lediglich ihre körperliche Hülle wechseln werde. Nach der Schuldlösung hat F nicht vorsätzlich und nach der Einwilligungslösung nicht frei von einer Täuschungshandlung gehandelt. Demnach kann auch keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung angenommen werden.
Das hat zur Folge, dass A sich wegen versuchten Mordes strafbar gemacht hat.i

2. Der aktuelle Stromschlagfall

Auch heute noch müssen sich die Gerichte mit solchen Fallkonstellationen befassen. In dem Urteil vom 20.01.2020 hatte sich der Angeklagte A gegenüber verschiedenen jungen Frauen als Arzt ausgegeben, der zusammen mit einer renommierten Universität eine Studie zur Wirksamkeit von Stromstößen als Schmerztherapie durchführte. Er warb O als Teilnehmerin der Studie an und bot ihr dafür 1000€ an. Zuvor sollte O aber zu Hause einen Vorab-Stromtest durchführen. O setzte sich daraufhin nach genauen Anweisungen des A die Stromdrähte an die Schläfe und löste dadurch einen Stromschlag mit 230 Volt aus. O ging dabei davon aus, dass der Stromschlag harmlos sei, weil sie auf die Expertise des A vertraute. Der Stromschlag führte nicht zum Tod der O. A, der via Skype die Tathandlung beobachten konnte, zeichnete den Vorgang auf, um sich später sexuell zu stimulieren. 

Das Landgericht München hat sich in diesem Fall mit einem versuchten Mord in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 211, 212, 25 I Alt. 2, 22, 23 StGB befasst.

Dafür müsste A mit der Möglichkeit des Eintritts des Todes gerechnet haben und diese billigend in Kauf genommen haben. Das LG München hat aufgrund der hohen Gefahr für das Opfer und der Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Verlaufs den Vorsatz bejaht.
In Bezug auf die Mordmerkmale hat das LG München die Heimtücke verneint, da O jederzeit das Experiment hätte abbrechen können und sie demnach zu Verteidigung imstand war.
Im Gegensatz dazu hat das LG München das Mordmerkmal der „Befriedigung des Geschlechtstriebs“ bejaht, obwohl A sich nur anhand des Videos und demnach nur mittelbar sexuell befriedigen wollte.
Außerdem müsste dem A die Handlung der O gem. § 25 I Alt. 2 StGB zugerechnet werden können. Die dafür notwenige Tatherrschaft scheidet aus, wenn sich O eigenverantwortlich selbst gefährdet hätte. O ging zwar davon aus, leichte Schmerzen durch den Stromschlag zu spüren, glaubte jedoch auch an die Harmlosigkeit ihrer Handlungen. Sie wollte sich weder starke Schmerzen zufügen, noch den Tod herbeiführen.
A manipulierte nicht nur die O die Tat durchzuführen, sondern sagte ihr auch wann und wie genau sie die Tat durchführen sollte. Er hatte als Tatherrschaft kraft überlegenen Wissens, weshalb ihm die Handlungen der O zugerechnet werden können.
Er hat sich also gem. §§ 211, 212, 25 I Alt. 2, 22, 23 StGB strafbar gemacht.

[1] BGH, Urteil v. 05.07.1983 – 1 StR 168/83, NJW 1983, 2579 (2579).
[2] BGH, Urteil v. 05.07.1983 – 1 StR 168/83, NJW 1983, 2579 (2580).
[3] Duttge, in: MüKO zum StGB, § 15, Rn. 83.
[4] Bottke, in: Problem der Suizidbeteiligung, GA 1983, 22 (31).
[5] BGH, Urteil v. 05.07.1983 – 1 StR 168/83, NJW 1983, 2579 (2580).
[6] LG München II, Urteil vom 20. Januar 2020 – 1 Ks 21 Js 5718/18, Juris Rn. 33ff..
[7] LG München II, Urteil vom 20. Januar 2020 – 1 Ks 21 Js 5718/18, Juris Rn. 370.
[8] LG München II, Urteil vom 20. Januar 2020 – 1 Ks 21 Js 5718/18, Juris Rn. 368.

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Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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