Verurteilung der vermutlich letzten KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum Massenmord
Die Verfahren gegen KZ-Funktionäre sind weitestgehend abgeschlossen. Teilweise, weil die Täter bereits bestraft wurden und teilweise, weil die Täter gar nicht mehr leben. In einzelnen Fällen gibt es aber noch Täter, die bislang durch die Maschen des deutschen Strafrechts gerutscht sind, weshalb ihre Taten bis heute nicht geahndet wurden. Nunmehr wurde eine 99-jährige KZ-Sekretärin wegen Beihilfe zum Massenmord verurteilt. Auf Grund ihres Alters und der langen Zeit, die die Taten mittlerweile her sind, ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Urteil um das letzte Urteil dieser Art handeln wird.
Die Angeklagte arbeitete ab 1943 als Zivilangestellte in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof. Dort war sie die Chefsekretärin des Lagers. Jeder Schriftverkehr zur Organisation und Durchführung des industriellen Massenmordes ging über ihren Schreibtisch, sodass sie notwendigerweise Kenntnis von den Vorgängen gehabt haben muss. Weil die Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst 18 bzw. 19 Jahre alt war, wurde ihr Verfahren vor einer Jugendkammer verhandelt. In Sutthof und seinen 39 Außenlagern waren nach Angaben eines Dokumentationszentrums zwischen 1939 und 1945 etwa 110 000 Menschen aus 28 Ländern inhaftiert. Fast 65 000 überlebten nicht.
Als ausgebildete Stenotypistin arbeitete Irmgard F. im Vorzimmer des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe. Sämtliche Befehle seien dort erstellt worden, sagte der Vorsitzende Richter Dominik Groß. „Der Angeklagten ist in ihrer Zeit in Stutthof nicht verborgen geblieben, was dort geschah.“ Sie sei an der entscheidenden Schnittstelle des Lagers tätig gewesen. Sie habe ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Hoppe gehabt und ihn bei der Flucht 1945 sogar bis zum Lager Wöbbelin in Mecklenburg begleitet.
Von ihrem Dienstzimmer aus habe sie den Sammelplatz sehen können, wo ankommende elende Gefangene oft tagelang warten mussten. Das Krematorium sei im Herbst 1944 ununterbrochen in Betrieb gewesen. Rauch und Gestank hätten sich über das Lager verbreitet. Es sei „schlicht außerhalb jeder Vorstellungskraft“, dass die Sekretärin von den Massentötungen nichts bemerkt habe. Irmgard F. habe ihrer Dienstverpflichtung zugestimmt. Aber, so der Richter: „Die Angeklagte hätte jederzeit ihre Anstellung kündigen können.“
Das Landgericht Itzehoe entschied, dass sie damit zur Beihilfe zum heimtückischen und grausamen Mord in 10.505 Fällen sowie versuchten Mord in fünf weiteren Fällen beging. Das Urteil wurde nach 40 Verhandlungstagen gefällt und sie wurde zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Dagegen legte die Angeklagte Revision ein, sodass der BGH über den Fall zu entscheiden hatte.