In Deutschland hat das Grundrecht der freien Meinungsäußerung einen hohen Stellenwert. Nicht zuletzt aus den Erfahrungen, die Deutschland im Dritten Reich machen musste. In Zeiten des Dritten Reichs war es den Bürgern eben nicht möglich, alles zu sagen, was sie dachten um eine kritische Auseinandersetzung mit Themen wie dem Regime anzukurbeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man deshalb beschlossen, dass dieses Grundrecht besonders relevant ist und einen weiten Schutzbereich bekommen soll, der nur in engen Grenzen eingeschränkt werden kann.
Eine Grenze der Meinungsfreiheit besteht darin, wenn die Äußerung der Meinung dazu führt, dass ein anderer Mensch beleidigt wird, sei es durch Formalbeleidigungen oder Schmähkritik, oder die Äußerung zu einer unzutreffenden Tatsachenbehauptung führt. Grundsätzlich klingt diese Abgrenzung einleuchtend, ist aber in der Praxis in einigen Fällen gar nicht so leicht voneinander zu unterscheiden.
Wird eine unzutreffende Tatsachenbehauptung festgestellt, besteht unter Umständen sogar die Möglichkeit, dass der Äußernde wegen übler Nachrede verurteilt wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in einer aktuellen Entscheidung weitere Leitlinien aufgestellt, anhand derer eine Abgrenzung möglich ist.
Der Sachverhalt
Der Angeklagte war Teilnehmer einer Klimabewegung und nahm als solcher an einem „Klimacamp“ teil. In diesem Zuge wurde auf der Internetseite der Protestbewegung folgende Pressemitteilung veröffentlicht:
„Der gesamte Vorgang lässt nur einen Schluss zu: Regierungspräsident A ließ nur deswegen die Ausnahmegenehmigung zur D-Wald-Rodung erteilen, weil er auf Grund langjähriger Sponsoringgelder von Stahlwerksbesitzer B mit diesem freundschaftlich verbandelt ist. Von Rechtsstaatlichkeit keine Spur. Regierungspräsident A ist korrupt, auch wenn hier vermutlich nur 250 € flossen und Stahlwerkschef B den Rest in Form freundschaftlicher Gefallen zahlen wird.“
Der Angeklagte begab sich im weiteren Verlauf mit weiteren Personen zum Gebäude des Regierungspräsidenten und schrieb mit Kreide auf die dort befindliche Straße: Unerhört: A erlaubt Waldrodung für 250 €. Alle Wälder bleiben! Korruption!“ an; auf anderen Pappschildern beziehungsweise Plakaten war zu lesen „Korruption für 250,- € Frech“, „D-Wald-Rodung genehmigen trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ sowie „Den D-Wald für 250 € verhökern? Frech!“.
Das AG verurteilte u. a. den Angeklagten wegen übler Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und verhängte einen Dauerarrest von 3 Wochen. Das LG verwarf die Berufung des Angeklagten. In der Gesamtwürdigung sei die Kammer überzeugt, dass die Angeklagten die Tatbegehung einschließlich eines gemeinschaftlichen arbeitsteiligen Vorgehens verabredet hätten. Diesem Tatplan habe es auch entsprochen, dass mehrere Botschaften auf den Pappschildern und dem Boden angebracht seien, sodass die Angeklagten als Mittäter gehandelt hätten. Durch das Verweilen im Gebäude liege Hausfriedensbruch vor, da die Angeklagten trotz Aufforderung durch eine zur Ausübung des Hausrechts berechtigte Zeugin das Gebäude nicht verlassen hätten. Zudem sei der Tatbestand der üblen Nachrede gegen Personen des öffentlichen Lebens erfüllt, indem die Angeklagte zum Nachteil des Geschädigten behauptet hätten, er sei korrupt. Die Kammer habe auch geprüft und umfassend abgewogen, dass für die Angeklagten das Recht auf Meinungsäußerung aus Art. 5 I GG streite. Dieses Recht finde jedoch seine Grenzen in Art. 5 II GG. Einen grundsätzlichen Vorrang des Rechts auf Meinungsäußerung vor dem Recht auf Ehrschutz des Geschädigten gebe es nicht. Den Angeklagten hätten aber viele Möglichkeiten des Protests zur Verfügung gestanden, sodass keine spontane Äußerung vorgelegen habe. Der von ihnen gemachte Vorwurf sei erheblich und würde zu massiven Konsequenzen bei dem Geschädigten führen. Deshalb trete ihr Recht hinter dem des Geschädigten zurück.
Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte Erfolg.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers ist begründet, weil die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seiner Meinungsfreiheit gem. Art. 5 I GG verletzt.
Art. 5 I 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile, also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt zunächst ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts.
Der Schutz der Meinungsfreiheit ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung. Davon unberührt bleibt, dass der Gesichtspunkt der Machtkritik im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit in die Abwägung eingebunden und nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlaubt ist.
Wird von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind die Auswirkungen seiner Äußerungen auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, aber nicht eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts tritt umso mehr zurück, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten Bereich in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage.
Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht der sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren.
Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Gerichte gehen mit einer verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht genügenden Begründung vom Vorliegen einer Tatsachenbehauptung aus und verkürzen damit den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit. Die Gerichte haben insoweit außer Acht gelassen, dass die Äußerung, jemand sei „korrupt“, abhängig vom Gesamtkontext durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sein und deshalb in vollem Umfang am Schutz des Grundrechts aus Art. 5 I GG teilnehmen kann. Sowohl das AG als auch das LG benennen weder den Maßstab eines unvoreingenommenen Durchschnittspublikums zur Ermittlung des Aussagegehalts, noch wird überhaupt dargelegt, welchen genauen Aussagegehalt der Protestaktion zu entnehmen ist und inwieweit hieraus ein ehrenrühriger Korruptionsvorwurf hervorgeht. Das LG beschränkt sich vielmehr auf die nicht näher begründete Feststellung, die „auf die oben bezeichnete Weise behaupteten Korruptionsvorwürfe“ seien geeignet gewesen, den Gesch. herabzuwürdigen bzw. die Angekl. hätten behauptet, „dass der Gesch. korrupt sei“. Weitergehende Ausführungen enthält auch die amtsgerichtliche Entscheidung nicht. Insbesondere erfolgt jeweils keinerlei Einordnung in den Kontext.
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[1] BVerfG, Beschluss v. 4.4.2024 – 1 BvR 820/24, NStZ-RR 2024, 168 (168).
[2] BVerfG, Beschluß vom 13. 5. 1980 – 1 BvR 103/77, NJW 1980, 2069 (2069).
[3] BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats) Beschluss vom 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20, NJW 2022, 680 (681).
[4] BVerfG, Beschluss v. 4.4.2024 – 1 BvR 820/24, NStZ-RR 2024, 168 (170).