Bezeichnung als „Trulla“ ist keine Schmähkritik!
Viele Aussagen sind in Deutschland von der Meinungsfreiheit geschützt. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit ist dabei unter anderem von § 185 StGB eingeschränkt. Bei der Beurteilung, ob eine Beleidigung im Sinne von § 185 StGB vorliegt ist eine Abwägung vorzunehmen. Diese Abwägung ist dabei nicht immer ganz leicht vorzunehmen.
1. Der Fall vor dem Amts- und Landgericht
Der Beschwerdeführer befindet sich in Sicherungsverwahrung, in der er ein gekürztes Taschengeld von 60-65€ erhält. Wegen Computerproblemen war sein Taschengeld am 23.08 2016 noch nicht so gebucht, dass es für den Folgemonat zur Verfügung stand. Wegen einschlägiger Erfahrungen befürchtete der Beschwerdeführer, dass das Geld ihm nicht für Einkäufe zur Verfügung stehen würde. Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, suchte er das Dienstzimmer einer Sozialarbeiterin der JVA auf. Da er das Gefühl hatte, nicht ernst genommen zu werden, wurde er wütend und bezeichnete die Mitarbeiterin als „Trulla“.
Das Amtsgericht Schwalmstadt verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 2€. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Bezeichnung „Trulla“ grundsätzlich ehrverletzenden Charakter habe und das Wort „Trulla“ im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet werde, um abwertend über weibliche Personen zu sprechen, überwiegend in Assoziation mit einer unterstellten Unordentlichkeit der adressierten Person. Der Begriff könne zwar auch neckisch und ohne beleidigenden Charakter verwendet werden, passe aber nicht auf den vorliegenden Kontext. Die Mitarbeiterin habe angegeben, dass der Beschwerdeführer ihr gegenüber derart bedrohlich aufgetreten sei, dass sie beinahe den Knopf für den Hausalarm betätigt habe.
Dieses Urteil wurde vom Beschwerdeführer angegriffen, ebenso wie den Beschluss, bei dem die Berufung des Beschwerdeführers verworfen wurde. In seiner Berufung rügte er, dass auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Meinungsfreiheit nicht ausreichend eingegangen worden sei.
2. Die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht
Daraufhin legte der Beschwerdeführer am 04.10.2019 Verfassungsbeschwerde ein. Diese richtet sich sowohl gegen das Urteil des Amtsgerichts, als auch gegen den Verwerfungsbeschluss des Landgerichts. Gerügt wird die Verletzung seiner Rechte aus Art. 5 I 1 GG, aus Art. 3 I GG sowie aus Art. 19 IV GG.
Das Bundesverfassungsgericht stellte daraufhin fest, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung in seine Meinungsfreiheit eingreift.
Art. 5 I 1 GG verleiht jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Dabei sind insbesondere diejenigen Äußerungen grundrechtlich geschützt, die durch ein Element der Stellungnahme geprägt sind. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sich nicht dem Schutzbereich des Grundrechts.
Der Eingriff in das Grundrecht aus Art. 5 I 1 GG ist auch nicht gerechtfertigt. Die Strafgerichte haben die Meinungsfreiheit schon gar nicht als einschlägig erkannt, jedenfalls aber den Eingriff nicht gerechtfertigt.
Nach Art. 5 II GG finden sich die Schranken der Meinungsfreiheit in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze und in dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehört auch § 185 StGB.
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfordert als Voraussetzung einer strafrechtlichen Verurteilung nach § 185 StGB eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigung, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen drohen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, sodass die Meinungsfreiheit hinter den Ehrschutz zurücktritt, ohne dass es eine Einzelfallabwägung bedarf.
Eine überzogene, völlig unverhältnismäßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter als Schmähung erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dabei ist auch zu beachten, dass Art. 5 I 1 GG nicht nur sachlich-differenzierend Äußerung schützt, sondern gerade Kritik grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden darf.
Schmähkritik im verfassungsrechtlichen Sinn ist gegeben, wenn eine Äußerung keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr nur um das grundlose Verächtlichmachen der betroffenen Person als solcher geht.
Damit eine Abwägung entbehrlich ist, muss die Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik klar kenntlich gemacht werden und ist in einer gehaltvollen und verfassungsrechtlich tragfähigen Weise zu begründen.
Hält ein Gericht eine Äußerung ohne hinreichende Begründung für eine Schmähung, ohne hilfsweise eine konkrete Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen zu haben, so liegt darin ein verfassungsrechtlich erheblicher Fehler, der zur Aufhebung der Entscheidung führt.
Grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Feststellung der Äußerung als ehrkränkend verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Allerdings haben die Gerichte für die Entscheidung keine Abwägung vorgenommen. Das Amtsgericht ist zwar vom Vorliegen einer Schmähkritik ausgegangen, was eine Abwägung entbehrlich machen würde. Diese Entscheidung hat das Gericht aber nicht ausreichend begründet, sodass sie nicht nachvollziehbar erscheint. Eine Ausnahme des Abwägungserfordernisses unter dem Gesichtspunkt der Formalbeleidigung erscheint im Übrigen fernliegend.
Dem Beschwerdeführer ging es nicht um die Diffamierung der Mitarbeiterin ansich, sondern sein primäres Ziel lag darin die Buchung des Taschengelds rechtzeitig zu erhalten um die Einkäufe erledigen zu können. Vor dem Hintergrund der Situation der der Beschwerdeführer ausgesetzt war, ist davon auszugehen, dass die Äußerung sich als Teil einer sach- und anlassbezogenen Auseinandersetzung darstellt und ist Ausdruck einer emotionalen Verarbeitung der als unmittelbar belastend wahrgenommenen Situation. Die Annahme der Aussage als Schmähkritik ist dadurch ausgeschlossen, weshalb eine einzelfallbezogene Abwägung notwendig gewesen wäre.
Diese Abwägung ist auch vom Landgericht in der Berufungsinstanz nicht nachgeholt worden.
[1] JVA als Abkürzung für Justizvollzugsanstalt.
[2] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 2).
[3] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 3).
[4] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 3).
[5] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 10).
[6] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 11).
[7] BVerfG, Beschluss v. 13.05.1980 – 1 BvR 103/77, NJW 1980, 2069 (2070).
[8] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 12).
[9] BVerfG, Urteil v. 15.01.1958 – 1 BvR 400/51, GRUR 1958, 254 (255).
[10] BVerfG, Beschluss v. 19.04.1990 – 1 BvR 40, 42/86, NStZ 1990, 383 (384).
[11] BVerfG, Beschluss v. 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89, NJW 1991, 95 (96).
[12] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 15).
[13] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 16).
[14] BVerfG, Beschluss v. 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 (1416).
[15] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 19).
[16] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 24).
[17] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 25).
[18] BVerfG, Beschluss v. 19.08.2020 – 1 BvR 2249/19, BeckRS 2020, 28266 (Rn. 26).