Rechtsbeugung

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Ein Bild einer Person, die einen Pfad in einem Waldgebiet entlang geht. Die Person trägt einen Rucksack und scheint sich von der Kamera wegzubewegen. Hohe Bäume säumen den Pfad und der Boden ist mit Laub bedeckt. Die Szene lässt an eine Herbstlandschaft denken.

Grundsätzlich ist das Gericht komplett frei in seiner Entscheidungsfindung. Das Gericht kann dabei sowohl über das Endergebnis als auch über die Verfahrensweise und den Sitzungssaal entscheiden. Eine Einschränkung dieser Freiheit findet sich nur im Gesetz.

Wird vom Gericht das Recht ganz bewusst missachtet, kann es zu einer Anklage wegen Rechtsbeugung kommen. 

Ganz prominent ist dabei der Fall eines Weimarer Familienrichters, bei dem genau diese Frage der Rechtsbeugung im Raum steht. 

Nach § 339 StGB macht sich ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter strafbar, welcher sich bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht und wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.

Der Fall

Der Tatvorwurf liegt in den Anfängen der Corona-Pandemie. Der Angeklagte erließ einen Beschluss, mit dem er für alle Kinder an zwei Schulen fast alle Schutzmaßnahmen gegen die Übertragung des Virus für beendet erklärte. Alle Kinder dieser Schulen sollten danach keine Masken mehr tragen, keine Schnelltests durchführen, keine Abstände einhalten dürfen. Nur das Lüften der Klassenzimmer blieb erlaubt. Diese Entscheidung sollte für alle Schüler, die Lehrer, die Schulleitungen sowie deren Vorgesetzte gelten. Die anders lautenden landesrechtlichen Vorschriften in den Corona-Verordnungen erklärte der Angeklagte für verfassungswidrig und damit nichtig.

Das Thüringer Schulministerium legte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein, das Oberlandesgericht (OLG) in Jena hob den Beschluss zeitnah auf. Der war damit aus der Welt, doch die strafrechtliche Aufarbeitung ging erst richtig los: Die Staatsanwaltschaft Gera hatte sofort ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Rechtsbeugung eingeleitet, es folgten diverse Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Computern und Mobiltelefonen, dann die Anklageerhebung, die Suspendierung des Richters und schließlich der Prozessauftakt und die Verurteilung.

Das Gericht in Thüringen hatte den Mann zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte haben Revision eingelegt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge insbesondere die Strafzumessungserwägungen der Strafkammer.

Der Angeklagte wendet sich mit der Sachrüge und einer auf die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags gestützten Verfahrensrüge gegen seine Verurteilung. Bei dem Beweisantrag geht es um die Frage, ob das Tragen einer Maske von Schulkindern für diese schädlich war und die Schutzmaßnahme überhaupt das Pandemiegeschehen eindämmte. Wenn nicht, könnte der Richter nach Ansicht der Verteidigung materiell richtig gehandelt haben. In der Sachrüge geht es darum, dass der Richter den Tatbestand der Rechtsbeugung mit seinem Verhalten schon gar nicht verwirklicht habe.

Entscheidend dabei ist, wer in solchen Verfahren um die Kindeswohlgefährdung zuständig ist und, ob ein Familienrichter Rechtsbeugung begeht, wenn er sich im Vorhinein mit den Sachfragen befasst.

Hinsichtlich der Frage der Zuständigkeit des Familienrichters war relativ zügig klar, dass der Richter für das Kindeswohl des betroffenen Kindes zuständig ist, aber nicht für hoheitliche Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Rechts entscheiden darf. 

Das Problem in diesem Fall war, dass Eltern das Familiengericht angerufen haben, weil eine Kindeswohlgefährdung ihrer Ansicht nach vorlag und das Familiengericht die Sachen wegen Unzuständigkeit an das Verwaltungsgericht abgegeben haben. Das Verwaltungsgericht fühlte sich aber auch unzuständig, weil es schließlich um Kindeswohlgefährdungen ging. 

In diesen Fällen kann der BGH bzw. das Bundesverfassungsgericht selbst angerufen werden. In diesem konkreten Fall entschieden die Obergerichte ähnlich: Familiengerichte (FamG) dürfen gegenüber schulischen Behörden keine Anordnungen zum Kindeswohl treffen – auch nicht in Sachen Corona-Schutzmaßnahmen. 

 

Hinsichtlich der Rechtsbeugung steht die Verteidigung des Angeklagten auf dem Standpunkt, dass weder der objektive noch der subjektive Tatbestand erfüllt sind. Damit stellt die Verteidigung darauf ab, dass ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung von Amts wegen eingeleitet wird. Es sei dem Verfahren immanent, dass ein Richter sich daher vor der Eröffnung schon mit der Sache befasst – ansonsten sei es ihm nicht möglich, den Fall zu beurteilen. Der BGH selbst sagt: “Nicht jede unrichtige Rechtsanwendung beugt das Recht. Nach ständiger Rechtsprechung erfasse § 339 StGB vielmehr nur den Rechtsbruch als elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege, bei dem sich der Amtsträger bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei vom Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an seinen eigenen Maßstäben ausrichtet. Ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, ist auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zu entscheiden. Bei einem Verstoß gegen Verfahrensrecht kann neben dessen Ausmaß und Schwere insbesondere auch Bedeutung erlangen, welche Folgen dieser für die Partei hatte, inwieweit die Entscheidung [objektiv] materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter leiten ließ”.

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[1] Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21
[2] Podolski, in: hat der Weimarer Familienrichter Rechtsbeugung begangen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/revision-bgh-2-str-54-24-rechtsbeugung-familienrichter-weimar-freiheitsstrafe, abgerufen am 28.08.2024.
[3] Podolski, in: hat der Weimarer Familienrichter Rechtsbeugung begangen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/revision-bgh-2-str-54-24-rechtsbeugung-familienrichter-weimar-freiheitsstrafe, abgerufen am 28.08.2024.
[4] Podolski, in: hat der Weimarer Familienrichter Rechtsbeugung begangen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/revision-bgh-2-str-54-24-rechtsbeugung-familienrichter-weimar-freiheitsstrafe, abgerufen am 28.08.2024.
[5] Podolski, in: hat der Weimarer Familienrichter Rechtsbeugung begangen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/revision-bgh-2-str-54-24-rechtsbeugung-familienrichter-weimar-freiheitsstrafe, abgerufen am 28.08.2024.
[6] BGH, Beschl. v. 18.04.2024, Az. 6 StR 386/23

 

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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