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Mordmerkmale bei Kleinkindern: Rechtliche Bewertung

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Eine Nahaufnahme der nackten Füße eines Babys, das auf einer gepflasterten Fläche steht. Das Baby trägt hellblaue Hosen, die leicht hochgekrempelt sind, und die Füße liegen nebeneinander. Der Belag besteht aus Ziegeln in verschiedenen Schattierungen.

Das heutige Thema dieses Blogposts ist kein schönes Thema. Im Gegenteil. Das heutige Thema beschäftigt sich mit den menschlichen Abgründen, nämlich einem Mord an einem Kleinkind. Der Tatbestand des Mordes ist nicht auf die Tötung eines Kleinkindes ausgerichtet, was zur Folge hat, dass die Mordmerkmale in manchen Situationen nicht so eindeutig vorliegen, wie es sich die Allgemeinheit vielleicht wünschen würde. 

Grundsätzlich würde man vermutlich davon ausgehen, dass bei einer Tötung von Kleinkindern immer niedrige Beweggründe gegeben sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Tötung auf unterster Stufe anzusiedeln und damit besonders Verachtenswert ist. Dabei darf der Umstand, dass es zur Tötung kam aber nicht in die Betrachtung des Unwerts miteinfließen. 

 

Der Sachverhalt 

Der Angeklagte ging eine Beziehung mit einer Frau ein, die mit ihren fünf Kindern zusammenlebte. Ihr jüngstes Kind war zwei Jahre alt und ein normal entwickelter Junge, der keine Auffälligkeiten zeigte. Versorgt wurde er durch seine Mutter und seine älteren Brüder. Die Mutter war stets bemüht, die Versorgung ihres Jüngsten auf andere zu übertragen. Der Angeklagte hielt sich zunächst nur an den Wochenenden in der Wohnung der Frau auf. Dabei kümmerte er sich in zunehmendem Umfang um ihren zwei jährigen Sohn. Nach einer Weile wurde der Angeklagte ihm gegenüber aber hierbei übergriffig woraufhin das Kind regelmäßig schrie und weinte. Nach einigen Monaten hielt der Angeklagte sich dauerhaft in der Wohnung der Frau auf. In dieser Zeit wies ihr Sohn immer mehr Hämatome und Schwellungen auf. Der Angeklagte erklärte die Verletzungen immer mit normalen Stürzen des Kindes. Insgesamt erlitt das Kind eine ein Zentimeter tiefe Rissverletzungen im Frontzahnbereich nebst vollständigem Abriss der Lippenbändchenverwachsungen, Wangenhämatome infolge mehrfachen kräftigen Griffs in die Wangen, Bissverletzungen auf der rechten Wange, dem rechten Unterschenkel und dem rechten Oberschenkel, Hautdefekte und Hämatome durch festen Zug an beiden Ohrmuscheln bzw. deren Verdrehen. Dem Angeklagten war dabei jeweils bewusst, dass ihm die Sorge für das Wohl des Kindes übertragen worden war. Wenige Wochen später trat der Angeklagte dem auf dem Rücken liegenden Kind unter massiver Kraftaufwendung auf den Bauch. Dabei rechnete er mit etwaigen tödlichen Folgen des Trittes und nahm diese zumindest billigend in Kauf. Durch den Tritt erlitt das Kind erhebliche Verletzungen im Darmbereich, am Bauchfell und an den Nieren wodurch es u.a. eine Bauchfellentzündung und eine Stoffwechselentgleisung erlitt und verstarb. Todesursächlich war ein Herz-Kreislauf-Versagen infolge einer Stoffwechsel- und Elektrolytentgleisung. 

 

Die Entscheidung

Der BGH hat entschieden, dass der Angeklagte sich nicht wegen eines heimtückischen Mordes strafbar gemacht hat. Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Dabei ist bedeutungslos, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Die Arglosigkeit führt zur Wehrlosigkeit, wenn das Opfer aufgrund der Überraschung durch den Täter in seinen Abwehrmöglichkeiten so erheblich eingeschränkt ist, dass ihm die Möglichkeit genommen wird, dem Angriff auf sein Leben erfolgreich zu begegnen der ihn wenigstens zu erschweren. Einem Kleinstkind gegenüber ist heimtückisches Handeln in der Regel nicht möglich, weil es nicht fähig ist, anderen Vertrauen entgegenzubringen. Die Tötung eines sehr kleinen Kindes, das infolge seiner natürlichen Arg- und Wehrlosigkeit gegen einen Angriff auf sein Leben nichts unternehmen kann, ist daher regelmäßig nicht als „heimtückisch“ anzusehen, weil seine Wahrnehmungsfähigkeit noch nicht ausgebildet ist. Der Begriff der Heimtücke i.S.v. § 211 StGB deutet auf etwas Heimliches hin und eine böse Absicht kann nur vor jemanden verheimlicht werden, der an sich in der Lage ist, sie wahrzunehmen. Ein Tatopfer, das in einem Alter ist, in dem ein normal entwickeltes Kind einen auf sein Leben zielenden Angriff erkennen und danach versuchen kann, Hilfe herbeizurufen, den Täter umzustimmen oder in sonstiger Weise dem Anschlag zu begegnen bzw. die Durchführung zu erschweren, kann hingegen „heimtückisch“ getötet werden.

Im Vorfeld des Tritts des Angeklagten hat das Kind regelmäßig geschrien und geweint und ängstlich auf die Anwesenheit des Angeklagten reagiert. Es bestehen aber keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass sich das Kind bei der Tatausführung des Angriffs auf sein Leben versah. Gleiches gilt für die Fähigkeit, sich gegen den bevorstehenden Tritt zur Wehr zu setzen. Ein Mord aus Heimtücke scheidet demnach aus.

Auch hat der Angeklagte sich nicht wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen strafbar gemacht. Die Beweggründe sind niedrig. Wenn sie nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und deshalb besonders verachtenswert sind. Das Problem in diesem Fall war, dass das Landgericht nur auf die Motivgründe zum Zeitpunkt des Trittes abgestellt hat. Das Landgericht hätte aber bereits auf den Zeitpunkt der vorherigen Misshandlungen Acht geben müssen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Kind schon weit vor der Tötung deutliche Misshandlungsmale aufgewiesen hat und so eine etwaige Tötungsmotivation bereits früher eingesetzt haben kann. 

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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