Ist Jugendstrafe auch ohne Erziehungsgedanke gerechtfertigt?

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Ein Mann in blauer Gefängniskleidung sitzt auf einem Stuhl in einer schwach beleuchteten Zelle. Der Raum hat graue Ziegelwände, eine vergitterte Tür und nur minimale Möbel, darunter einen Metalltisch, einen Ventilator und zwei Hocker. Auf dem Boden liegen verstreut Zeitungen.

Im Jugendstrafrecht gibt es verschiedene Sanktionierungsmöglichkeit. Neben Jugendarrest und Arbeitsauflagen, hat der zuständige Jugendrichter bei schwerwiegenderen Straftaten oder einer hohen Anzahl an Straftaten die Möglichkeit, eine Jugendstrafe zu verhängen. Jugendstrafe bedeutet die Verhängung einer freiheitsentziehenden Maßnahme von über sechs Monaten. Sinn und Zweck des Jugendstrafrechts und der daraus folgenden Flexibilität bei der Sanktionierung ist der Erziehungsgedanke. Der Richter ist angehalten, immer die Erziehung des Jugendlichen im Blick zu behalten bei der Entscheidung welche Strafe angewendet werden soll. 

Rechtsprechung und Literatur sind sich seit Jahrzehnten nicht einig, ob für die Verhängung von Jugendstrafe wegen der besonderen Schwere der Schuld nach § 17 II Alt. 2 JGG auch ein Erziehungsdefizit des Jugendlichen notwendig ist oder nicht. Nun hat der 5. Strafsenat des BGH einen Anfragebeschluss gefasst, der zu einem Wandel in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führen könnte. Im folgenden Beitrag soll nicht der Anfragebeschluss besprochen werden, sondern nur die verschiedenen Ansichten aufzeigen. 

 

Die Jugendstrafe, § 17 II JGG

Die Jugendstrafe stellt eine eher eingriffsintensivere Maßnahme dar, ist aber keine Freiheitsstrafe wie im Erwachsenenstrafrecht, sondern stellt einen aliud dar. Aus diesem Grund muss der Strafvollzug auch in eigenen Anstalten erfolgen und der Vollzug ist eigens geregelt. Nach § 17 Abs. 2 JGG kann Jugendstrafe verhängt werden, „wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist“. Die erste Variante des Absatzes erfordert damit schädliche Neigungen des Jugendlichen, also „erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel, die ohne längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen“, denen nur mit der Verhängung von Jugendstrafe wirksam begegnet werden kann. Insoweit ist damit unstreitig erforderlich, dass zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung beim Jugendlichen ein Erziehungsdefizit vorhanden ist. Streitig sind dagegen die Anwendungsvoraussetzungen des § 17 II JGG. Einig sind sich Rechtsprechung und große Teile der Literatur noch insoweit, dass die Schwere der Schuld jugendspezifisch zu bestimmen ist. Dabei ist insbesondere auf die innere Tatseite und nicht den äußeren Unrechtsgehalt der Tat abzustellen, also auf das Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Jugendlichen begründeten Beziehung zu seiner Tat. Der äußere Unrechtsgehalt kann jedoch insoweit Berücksichtigung finden, als daraus Schlüsse auf die innere Tatseite gezogen werden können. Umstritten ist jedoch, ob ein Erziehungsbedürfnis auch bei der Jugendstrafe aufgrund der Schwere der Schuld erforderlich ist.

 

Die Rechtsprechung

Bislang forderte der BGH in seiner ständigen Rechtsprechung, dass die Jugendstrafe nur dann verhängt werden dürfte, wenn dies auch aus erzieherischen Gründen erforderlich ist. 

2013 äußerte der 1. Strafsenat des BGH in einem Obiter dictum Zweifel an der bisherigen Rechtsprechung und erklärte, dass er dazu neige, „bereits das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund einer auf das Merkmal der ‚Schwere der Schuld‘ gestützten Jugendstrafe ohne eine faktische Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters genügen zu lassen“.

Allerdings macht der BGH von diesem Primat des Erziehungsgedankens inzwischen auch Ausnahmen. So soll bei besonders schweren Taten, insbesondere bei Kapitaldelikten, und mit zunehmendem Alter des Angeklagten der Gedanke des gerechten Schuldausgleichs an Bedeutung gewinnen und der Erziehungsgedanke in den Hintergrund treten.

 

Die Literatur

Die herrschende Lehre spricht sich seit jeher gegen das Erfordernis der Erziehungsbedürftigkeit bzw. Erziehungsfähigkeit bei § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG aus. Entscheidend sei demnach allein die Schwere der Schuld. Dem Erziehungsbedürfnis komme dagegen ausschließlich Bedeutung im Rahmen der Strafzumessung zu. Die Position der Rechtsprechung dazu, dass eine Verhängung der Jugendstrafe gegen Heranwachsende niemals möglich sei, da sich die Erziehung Erwachsener verbiete. Auch die Entstehungsgeschichte der Norm müsse berücksichtigt werden, da der Gesetzgeber in § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG anders als in der Alt. 1 gerade eine reine Schuldstrafe schaffen wollte. Weiterhin zeige sich an § 18 Abs. 1 JGG, dass der Gesetzgeber im Jugendstrafrecht durchaus auch Aspekte der positiven Generalprävention verankert hat. Denn insoweit ist das Höchstmaß der Jugendstrafe auf 10 Jahre festgelegt. Eine Dauer von mehr als fünf Jahren wird aber als erzieherisch kontraproduktiv erachtet. Zuletzt werden auch verfassungsrechtliche Gründe ins Feld geführt. Denn die Verknüpfung des Schuldgrundsatzes mit der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit erfordere es, eine gerechte, dem Schuldgehalt entsprechende Sanktion zu verhängen. Dem laufe es zuwider, wenn einem jugendlichen Mörder nur Jugendarrest auferlegt werden dürfe, weil er nicht erziehungsbedürftig ist.

 

[1] Petersen: Jugendstrafe ohne Erziehungsbedarf? NStZ 2024, 209 (2010).
[2] Petersen: Jugendstrafe ohne Erziehungsbedarf? NStZ 2024, 209 (2010).
[3] BGH, Urt. v. 1.12.2022 − 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428 (429); MüKoStGB/Radtke/Scholze JGG § 17 Rn. 70.
[4] BGH, Beschluss vom 6. 5. 2013 – 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658 (659).
[5] Petersen: Jugendstrafe ohne Erziehungsbedarf? NStZ 2024, 209 (2010).
[6] Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, 16. Aufl. 2020, Rn. 458; Brunner/Dölling, Jugendgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2018, JGG § 17 Rn. 27; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 3. Aufl. 2015, Rn. 743 (anders noch in der Vorauflage); Meier/Rössner/Trüg/Wulf, Jugendgerichtsgesetz/Laue, 2. Aufl. 2014, JGG § 17 Rn. 31; Nix/Pschorr, Jugendgerichtsgesetz/Franzen, 2023, Kap. 9 Rn. 119; Ostendorf, Jugendstrafrecht/Drenkhahn, 11. Aufl. 2023, Rn. 230 ff.; MüKoStGB/Radtke/Scholze JGG § 17 Rn. 60.
[7] Petersen: Jugendstrafe ohne Erziehungsbedarf? NStZ 2024, 209 (2010).
[8] Laubenthal/Baier/Nestler JugendStrafR Rn. 743.
[9] Petersen: Jugendstrafe ohne Erziehungsbedarf? NStZ 2024, 209 (2011).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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