Manchmal gibt es Situationen, in denen es notwendig erscheint, Menschen vor sich oder anderen zu schützen und in denen es nach einer Gefahrenprognose erforderlich erscheint, sie in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Weil die Unterbringung aber ein schwerwiegender Grundrechtseingriff ist, muss es für die Beurteilung strenge Regelungen geben. Die Gefährlichkeitsprognose i. S. des § 63 S. 1 StGB ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Dabei sind die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen besonders in den Blick zu nehmen. Auch bei einer gravierenden Anlasstat (hier: versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) muss als protektiver Umstand in die Gefahrenprognose einfließen, dass die fortschreitende Psychose des Beschuldigten bereits seit Jahrzehnten Bestand hatte, seither die meiste Zeit unbehandelt blieb und es dennoch über diesen Zeitraum nicht zu krankheitsbedingten Übergriffen des Beschuldigten kam. Ferner kann in dem Umstand, dass sich der Verurteilte in der Vergangenheit einer stationären psychiatrischen Behandlung freiwillig unterzog, ein weiterer zu erörternder protektiver Faktor zu sehen sein. Hat die Anlasstat für die Unterbringung ihren Ursprung in der besonderen Beziehung des Beschuldigten zu der Geschädigten, bedarf die Annahme, dass der Täter i. S. von § 63 StGB für die Allgemeinheit gefährlich ist, genauerer Prüfung und Darlegung auf Grund konkreter tatsächlicher Feststellungen.
Der Sachverhalt
Nach den Feststellungen leidet der nicht vorbestrafte Beschuldigte an einer schizophrenen oder schizoaffektiven Psychose. Während seines Medizinstudiums in Ägypten zeigte er im Alter von etwa 23 Jahren erstmals psychische Auffälligkeiten, als er begann, Stimmen zu hören, die ihm Befehle erteilten und seine Familie beleidigten. Während seines Studiums und seiner anschließenden Tätigkeit als Arzt verleugnete der Beschuldigte seine Erkrankung, da er mit ihr starke Schamgefühle verband. Daher blieb seine Psychose die meiste Zeit seines Lebens unbehandelt und verstärkte sich über die Jahre. Im Jahr 2016 begab sich der Beschuldigte nach Deutschland, wo er schnell seine Ersparnisse aufgebraucht hatte. Zu dieser Zeit war seine Erkrankung erheblich fortgeschritten. Der Beschuldigte, der sich ohne Arbeit und ohne Obdach perspektivlos fühlte, litt unter Wahnvorstellungen und Halluzinationen. Er fühlte sich zunehmend verfolgt und nahm häufig imperative Stimmen wahr, was ihn zu einer Bewaffnung gegen vermeintliche Angriffe veranlasste. Im Jahr 2017 wurde er etwa 1 Monat in einer psychiatrischen Klinik behandelt. Im Anschluss lebte er wieder auf der Straße. Diese Stimmen befahlen ihm am 30.4.2018, die Geschädigte anzugreifen und zu verletzen. Auf Grund der Zurückweisung durch die Geschädigte und seiner zunehmenden Perspektivlosigkeit sah sich der Beschuldigte gezwungen, dem Folge zu leisten. Er bewaffnete sich zu diesem Zweck mit einer Haushaltsschere und begab sich zur Wohnung der Geschädigten. Als ein „Drogenlieferant“ deren Wohnung verlassen hatte, nahm die im Türrahmen stehende Geschädigte den wartenden Beschuldigten wahr und forderte ihn auf, sich „zu verpissen“. Er griff sie unvermittelt an, schlug ihr zunächst ins Gesicht und stach dann mit der geöffneten Schere mehrfach auf den Oberkörper der Geschädigten ein. Sie trug diverse Schnitt- und Stichverletzungen davon. Dem Beschuldigten war bewusst, dass sein Übergriff auf die Geschädigte tödlich verlaufen könnte, was er billigend in Kauf nahm. Infolge des Angriffs schrie die Geschädigte auf und ging zu Boden, wobei der Beschuldigte die Schere verlor. Ein aufmerksam gewordener Wohnungsbesucher eilte hinzu, zog die blutende Geschädigte und die Tatwaffe in die Wohnung hinein. Bei der Tat war er in der Lage, deren Unrecht einzusehen, auf Grund seiner psychischen Erkrankung war jedoch seine Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich vermindert.
Das LG werte die Anlasstat vom 30.4.2018 als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 I Nrn. 2 und 5 StGB und ordnete im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
Die dagegen gerichtete Revision des Beschuldigten führte zur Aufhebung des Urteils mit seinen Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen.
Entscheidung des BGH
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) auf Grund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Der Umstand, dass ein Täter trotz bestehender Grunderkrankung in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Straftaten sein und ist deshalb regelmäßig in den Urteilsgründen zu erörtern.