Die deutschen juristischen Examina gehören zu den anspruchsvollsten akademischen Abschlüssen der Welt. Dabei ist nicht nur die Masse an Wissen überdurchschnittlich hoch, sondern sowohl das Erste Examen als auch das Zweite Examen zeichnen sich durch eine hohe Komplexität aus und sind enorm kräftezehrend. Im Ersten Examen hat der Student (je nach Bundesland) sechs Klausuren, die jeweils fünf Stunden dauern, innerhalb von 1,5 Wochen zu schreiben. Als sei das noch nicht genug, muss der Student sich fünf-sechs Monate später einer mündlichen Prüfung unterziehen, bei der er mit (meist) fünf weiteren Prüflingen den ganzen Tag mündlich auf Herz und Nieren geprüft wird. Hat er diese Tortur überstanden, darf er sich Diplomjurist nennen. Nicht selten fallen die Noten trotzdem schlecht aus. Die Notenskala reicht zwar theoretisch bis zu 18 Punkten, diese sind jedoch wirklich nur in der Theorie zu erreichen. Wer als Jurist einen Schnitt von neun Punkten erreicht, liegt schon weit über dem Durchschnitt und wird vom Arbeitgeber hart umworben.
Als Diplomjurist besteht zwar die Möglichkeit, Jobs zu finden, klassische juristische Berufe können als Diplomjurist jedoch nicht ausgeübt werden.
Wer sich zum Volljuristen ausbilden lassen will, muss sich nochmal einem zweijährigen Referendariat unterziehen an dessen Ende das Zweite Staatsexamen steht. Im Zweiten Staatsexamen steht zwar die Praxis im Vordergrund, trotzdem müssen die Kandidaten sich (in den meisten Bundesländern) acht Klausuren unterziehen, die ebenfalls jeweils fünf Stunden dauern. Nur um sich das nochmal zu verdeutlichen: die Kandidaten müssen innerhalb von 2 Wochen insgesamt 40 Stunden Klausuren schreiben und jede einzelne dieser Klausuren fordert den Kandidaten kognitiv alles ab. Auch nach diesen Klausuren müssen die Kandidaten mehrere Monate später in die mündliche Prüfung, die ähnlich wie im Ersten Examen strukturiert ist. Auch im Zweiten Examen fallen die Noten ähnlich schlecht aus wie im Ersten Examen. Da erscheint es nicht verwunderlich, dass Juristen nicht gerne über ihre Ergebnisse reden. Nach Bestehen des Zweiten Staatsexamens darf der Referendar sich Volljurist nennen und ist offiziell fertig mit seiner Ausbildung.
Im Gegensatz zu anderen Studiengängen sind unter Juristen, Praktika und Berufserfahrung deutlich weniger wert als das Ergebnis der Examina. Wer in beiden Examina nur ein ausreichend erreicht hat, wird, unabhängig davon wie nett oder gut er ist, nicht Richter werden können oder in einer Großkanzlei arbeiten dürfen.
Unter diesen Umständen ist es wenig überraschend, dass im Arbeitsmarkt gerne versucht wird, auf Seiten des Arbeitnehmers möglichst wenig über Noten zu reden.
Nunmehr wurde festgestellt, dass manch einer sich die Angelegenheit noch leichter gemacht hat und sein Examenszeugnis gefälscht hat und so jahrelang in einer Großkanzlei gearbeitet hat. Dieser Fall ist durch die juristische Presse gegangen und hat eine Diskussion ins Rollen gebracht über die Frage, wie sinnvoll diese Art der Ausbildung und die Notengebung ist. Zu Veränderungen hat es bislang aber nicht geführt.
Der Fall
Der Jurastudent M war an der LMU in München immatrikuliert und schrieb auch zunächst fleißig seine Klausuren mit. Zu einem Zeitpunkt X entschied er sich dazu, nicht mehr an den Kursen teilzunehmen und die Klausuren nicht mehr mitzuschreiben. Wer keine Klausuren an der Uni schreibt und besteht, wird auch nicht zum Examen zugelassen. Ohne Zulassung zum Examen, kein Abschluss. Damit wollte M sich aber nicht zufriedengeben und fälschte deshalb sein Examen. Dabei erfand er nicht nur das Datum seines Examens, sondern vergab sich selbst auch absolute Spitzennoten.
Mit diesen Zeugnissen bewarb er sich in einer Großkanzlei und bekam die Stelle. Vor Ort arbeitete er über vier Jahre als Anwalt und erzielte dabei durchaus gute Ergebnisse. Aufgeflogen ist der Schwindel, weil M bei dem Datum seines Examenszeugnis nicht aufmerksam gewesen war und deshalb einen Feiertag als Ausstellungsdatum eingetragen hatte. Dieser Fehler ist aber erst nach vielen Jahren aufgefallen, weil eine Mitarbeiterin aus der Personalabteilung diese Unstimmigkeit erkannt hat.
Nach Auffliegen des Schwindels wurde zügig ein Strafverfahren gegen M wegen Betruges eröffnet.
Für eine Verurteilung wegen Betrugs muss ein Vermögensschaden festgestellt werden. Das AG hatte dafür Grundsätze aus der Rechtsprechung zu Beamten übertragen. Dies mit der Begründung, dass Anwälten in ihrer Funktion eine ähnliche besondere Vertrauensstellung zukäme. „Auch genießt der Stand der Rechtsanwälte eine hohe Vertrauenswürdigkeit, da diese nicht nur Interessenvertreter, sondern auch Organe der Rechtspflege sind“, heißt es im Urteil des AG. Das Gericht ordnete die Einziehung von rund 325.000 Euro an. Die Argumentation: Wem die fachlichen Qualifikationsnachweise fehlen, der hätte den Job nie bekommen. Entsprechend sei der Schaden in Höhe des gesamten gezahlten Jahresgehalts anzusetzen. Im Rahmen der Einziehung hatten die LG-Richter aber in eine andere Richtung argumentiert: Der Beschuldigte habe zwar mehrere Großkanzleigehälter erlangt, der Wert seiner Arbeitsleistung sei aber davon abzuziehen. Hintergrund sei § 73 d Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). In der Norm ist geregelt, dass grundsätzlich Aufwendungen des Täters bei der Bestimmung des Erlangten abzuziehen sind. Das Gericht nahm an, dass der Wert der Arbeitskraft des Beschuldigten den Großkanzleigehältern entsprach. Das BayObLG sah darin einen Widerspruch. Es ließ aber die Rechtsfrage zur Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu den Beamten offen und schickte den Fall an eine andere Kammer des LG München I zurück.