Die Inbegriffsrüge

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Ein kunstvolles architektonisches Detail mit einer Flachreliefskulptur einer Person, die eine Waage hält, ist in ein kompliziertes, klassisches Design eingebettet, das florale und geometrische Elemente enthält. Die Decke darüber ist mit symmetrischen, rautenförmigen Mustern geschmückt.

Der Begriff der Inbegriffsrüge ist zunächst einmal nicht selbsterklärend, sodass Laien mit hoher Wahrscheinlichkeit mit diesem Begriff nichts anfangen können. 

Relevant wird der Begriff im Bereich des Strafverfahrens immer dann, wenn geltend gemacht wird, dass der Tatrichter seine Überzeugung nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung, also nicht unmittelbar aus der Hauptverhandlung, gewonnen hat. 

Der Grundsatz im Strafverfahren ist aber, dass die Beweisgewinnung innerhalb der Hauptverhandlung gem. § 261 StPO stattzufinden hat. Eine außerhalb der Hauptverhandlung gewonnene Erkenntnis ist also ein atypischer Fall und nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. 

Bei der sogenannten Inbegriffsrüge handelt es sich um einen relativen Revisionsgrund, zu dem in der Revisionsbegründung die entsprechenden Tatsachen vorgetragen werden müssen. 

Nunmehr hat der BGH entschieden, dass derjenige, der die Inbegriffsrüge erhebt ebenfalls nachweisen muss, dass die Feststellungen nicht in der Hauptverhandlung getroffen wurden. Der Revisionsführer muss also auch Negativtatsachen vortragen. 

 

Der Sachverhalt

Das LG hat den Angekl. unter Freispruch im Übrigen wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Dagegen richtete der Angeklagte seine Revision und rügte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Dem lag folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

Die Strafkammer hatte mit einem von der Kammervorsitzenden verlesenen Gerichtsbeschluss das Selbstleseverfahren unter anderem in Bezug auf eine Vielzahl von Protokollen über den Inhalt von Chats, die über so genannte EncroChat-Mobiltelefone geführt worden waren, angeordnet. Die Selbstleseanordnung wurde nicht zurückgenommen. Im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung wurde nicht festgestellt, dass die Richter und Schöffen vom Wortlaut der im Selbstleseverfahren einzuführenden Urkunden Kenntnis genommen und die anderen Verfahrensbeteiligten dazu Gelegenheit hatten. Die Urkunden wurden auch nicht in anderer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt.

 

Entscheidung des BGH

Der Angeklagte hat die Inbegriffsrüge zulässig erhoben, sodass sie den Anforderungen des § 344 II 2 StPO genügt. Der Vorlage des Hauptverhandlungsprotokolls, aus dem sich das Fehlen der Feststellung über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu (§ 249 Abs. 2 S. 3 StPO) ergibt, bedurfte es nicht. Der Protokollinhalt beweist lediglich die Richtigkeit des Revisionsvorbringens und betrifft somit die Begründetheit des Rechtsmittels.

Ob in Einzelfällen der Vortrag, dass die Urkunden auch nicht in anderer Weise in die HV eingeführt wurden, näher konkretisiert werden muss, namentlich dahin, dass dies auch nicht durch einen (nicht protokollierungspflichtigen) Vorhalt des Urkundeninhalts im Rahmen einer Vernehmung geschehen sei, konnte im vorliegenden Fall offen bleiben. Beim vorliegenden Urteil lag ein erheblicher Umfang der wörtlich wiedergegebenen Urteil vor, sodass ein entsprechender Vortrag entbehrlich erschien.

Der BGH hat festgestellt, dass ein Verfahrensverstoß vorliegt. Wie das Fehlen des Vermerks nach § 249 Abs. 2 S. 3 StPO beweist, sind die Urkunden, die Gegenstand der Selbstleseanordnung der Kammer waren, nicht Inbegriff der landgerichtlichen Hauptverhandlung geworden. Das Urteil beruht auch auf dem Verfahrensfehler, denn das Landgericht hat seine Überzeugung von der Schuld des Angekl. ausdrücklich auf die Urkunden, insbesondere die teilweise wörtlich wiedergegebenen Inhalte der Chatprotokolle, gestützt. 

Das hat zur Folge, dass die Sache einer neuen Verhandlung und Entscheidung bedarf, ohne dass es noch eines Eingehens auf die weitere Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts bedürfte.

[1] Inbegriffsrüge, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Inbegriffsrüge, abgerufen am 14.08.2024.
[2] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (503).
[3] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (504).
[4] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (504 Rn. 6).
[5] BGH, Urt. v. 9.3.2017 − 3 StR 424/16 (LG Verden), NStZ 2017, 722 (723).
[6] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (504 Rn. 7).
[7] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (504 Rn. 7).
[8] BGH, Beschluss vom 20. 7. 2010 – 3 StR 76/10 (LG Wuppertal), NStZ 2010, 712 (713).
[9] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (504 Rn. 8).
[10] BGH, Beschl. v. 26.4.2023 − 4 StR 368/22 (LG Dortmund), NStZ 2024, 503 (504 Rn. 9).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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