Der zeitliche Bezugspunkt der Arg- und Wehrlosigkeit bei heimtückischer Tötung
Wie bereits in zahlreichen Aufsätzen beschrieben, unterscheidet sich der Mord vom Totschlag durch das Hinzutreten von Mordmerkmalen. Manche dieser Merkmale sind subjektiv wie beispielsweise das Mordmerkmal der Habgier, manche sind objektiv wie das Mordmerkmal der Heimtücke. Heimtücke ist dabei das Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. Von einer heimtückischen Tötung ist auszugehen, wenn das Opfer bereits bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arg- und wehrlos ist. Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung ein Opfer auch dann noch arg- und wehrlos sein, wenn ein zunächst mit Verletzungsvorsatz geführter Angriff so schnell in einen solchen mit Tötungsvorsatz umschlägt, dass ihm keine Zeit zu effektiver Gegenwehr oder Flucht verbleibt.
Der Sachverhalt
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem Raub mit Todesfolge, mit besonders schwerem Raub, mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchtem Computerbetrug (Fall II.1 b) (1) der Urteilsgründe) sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit vorsätzlicher Körperverletzung, mit erpresserischem Menschenraub, mit besonders schwerer räuberischer Erpressung, mit versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung und mit versuchtem Computerbetrug (Fall II.1 b) (2) der Urteilsgründe) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Zudem hat es gegen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (Fall II.2 der Urteilsgründe) unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe und unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des AG Rostock v. 7.12.2016 iVm dem Urteil des LG Rostock vom 10.5.2017 eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verhängt. Schließlich hat es gegen den Angeklagten die Sicherungsverwahrung angeordnet.
Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.
Die Entscheidung des BGH
Die Verurteilung des Angeklagten wegen des Geschehens zum Nachteil der Geschädigten W (Fall II.1 b) (1) der Urteilsgründe) bleibt bestehen. Die Annahme des LG, der Angeklagte habe bei dem Angriff auf die Geschädigte mit Tötungsvorsatz gehandelt und sei nicht wirksam vom Versuch zurückgetreten, ist frei von Rechtsfehlern. Insoweit stützt sich der BGH auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts. Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme der Strafkammer, der Angeklagte habe die 66-jährige Geschädigte nicht nur aus Habgier und zur Ermöglichung einer Straftat, sondern auch heimtückisch töten wollen. Nach den Feststellungen lauerte er der Geschädigten vor deren Haus auf. Als diese die Haustür öffnete, drängte er sie sofort nach innen und schlug ihr unvermittelt mit der Faust ins Gesicht, so dass sie mehrere Zähne verlor und zu Boden fiel. Sodann umklammerte er ihren Hals mit seiner Ellenbeuge. Dann fügte er dem Opfer – nunmehr dessen Tod billigend in Kauf nehmend – mit einem Messer einen acht Zentimeter langen, stark blutenden Schnitt am Hals zu.
Zwar ist von einem heimtückischen Vorgehen iSd § 211 Abs. 2 StGB grundsätzlich nur dann auszugehen, wenn das Opfer bereits bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs arg- und wehrlos ist. Dies war hier nicht mehr der Fall, weil das Opfer nach dem Faustschlag mit weiteren Angriffen des Angeklagten rechnen musste. Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung ein Opfer auch dann noch arg- und wehrlos sein, wenn ein zunächst mit Verletzungsvorsatz geführter Angriff so schnell in einen solchen mit Tötungsvorsatz umschlägt, dass ihm keine Zeit zu effektiver Gegenwehr oder Flucht verbleibt. So verhält es sich hier. Die Geschädigte fand sich nach dem Faustschlag am Boden liegend im Klammergriff des Angeklagten wieder. Ihr Versuch, sich in dieser Situation dem Zugriff des ihr körperlich deutlich überlegenen Angeklagten zu entwinden, blieb vergeblich. Auch sonst bestand für sie nach dem Beginn des körperlichen Übergriffs keine Möglichkeit, sich gegen den nachfolgenden Messerangriff erfolgreich zur Wehr zu setzen.