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Der Sirius-Fall 2.0

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Die Hand einer Person hält ein Klappmesser mit einem schwarz-orangen Griff. Der Hintergrund ist eine verschwommene, blau getönte Oberfläche, möglicherweise Schnee oder Eis.

Vor einiger Zeit wurde im Rahmen unserer Blogbeiträge über den sogenannten Sirius-Fall berichtet. Inhaltlich ging es bei diesem (unter Juristen sehr bekannten) Fall um eine junge Frau, die von dem Angeklagten dahingehend manipuliert wurde, dass er ihr sagte, sie müsse eine hohe Summe an Geld zahlen und sich selbst töten, um in einem neueren und besseren Körper wiederbelebt zu werden. Die Frau versuchte daraufhin auf genaue Instruktion des Angeklagten hin, sich zu töten. Der Tötungsversuch ging jedoch schief. Juristisch war dieser Fall gar nicht so einfach zu entschlüsseln. Schließlich hatte sich die Frau aus eigener Hand versucht zu töten. Trotzdem war ja eindeutig, dass der Angeklagte einen großen Anteil an der Grundidee der Tötung hatte. 

Der BGH hat zum damaligen Zeitpunkt die versuchte Tötung in mittelbarer Täterschaft bejaht mit der Begründung, dass die Suizidentin der Umstand nicht bekannt war, dass sie eine Ursache für ihren eigenen Tod setzte. Der Angeklagte hingegen war derjenige, der Täter eines Tötungsdelikts kraft überlegenen Wissens wurde. Mit diesem Wissen lenkte er die Suizidentin und machte sie zum Werkzeug gegen sich selbst. 

Seitdem ist das Konstrukt der mittelbaren Täterschaft etabliert und gefürchtet von Jurastudenten. 

Nunmehr hat es einen ähnlich gelagerten Fall gegeben, über den der BGH entscheiden musste. 

 

Der Sachverhalt

Der Angeklagte war aus finanziellen Gründen mit seinem späteren Tatopfer eine homosexuelle Beziehung eingegangen. Dieser litt unter Depressionen und sah den Angeklagten im Laufe der Beziehung als seine wichtigste Bezugsperson an. Nicht nur wurde der Angeklagte seine wichtigste Bezugsperson, sondern sein Tatopfer entwickelte eine regelrechte emotionale Abhängigkeit, die sich der Angeklagte im weiteren Verlauf der Beziehung zunutze machte. 

Nachdem sein Tatopfer mit dem Angeklagten zusammengezogen war, entwickelte sein Opfer erneute Depressionen und das Verhältnis zwischen den Beteiligten verschlechterte sich, was sich in Aggressionen seitens des Angeklagten widerspiegelte. Unter Ausnutzung der emotionalen Abhängigkeit, die der Angeklagte bewusst durch Isolation seines Opfers verstärkte und seines geringen Selbstwertgefühls, tyrannisierte der Angeklagte sein späteres Opfer zunehmend verbal, emotional und physisch. Sein Opfer versuchte mehrfach erfolglos der Tyrannei des Angeklagten zu entkommen, wodurch sich sein Zustand weiter verschlechterte. Eines Tages fasste der Angeklagte den Entschluss, sich seinem Opfer zu entledigen, indem er ihn aufforderte, sich selbst zu töten. Dazu rief er ihn an und wirkte über einen Zeitraum von acht Stunden mit Beleidigungen, Demütigungen und fortwährenden Aufforderungen, sich doch endlich zu töten, mit dem Ziel auf ihn ein, ihn psychisch zu zermürben und zum Suizid zu veranlassen. Auch eröffnete der Angeklagte ihm, die Beziehung zu ihm nicht fortführen zu wollen. Wie vom Angeklagten gewollte, brachten diese Aussagen sein Opfer aufgrund von kognitiver Überforderung und seelischer Zerrissenheit dazu, dass seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit aufgehoben waren. Nach Beendigung des Telefonats ging das Opfer davon aus, dass ein Suizid die einzige Lösung war und fügte sich nicht lebensgefährliche Schnittwunden zu. Um sich als aufopferungsvollen Freund darzustellen, alarmierte der Angeklagte Rettungskräfte, die das Opfer fanden. In Wahrheit ging der Angeklagte aber davon aus, dass der Suizid bereits erfolgreich durchgeführt sei.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags, Betrug, Nötigung in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit erpresserischem Menschenraub, wegen Erpressung, (vorsätzlicher) Körperverletzung verurteilt. Dagegen legte der Angeklagte Revision ein.

 

Entscheidung des BGH

Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. 

Das Landgericht ist nach Ansicht des BGH zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der Tat um eine versuchte Tötung in mittelbarer Täterschaft handelt. ies setzt voraus, dass der Selbsttötungsentschluss aus Tätersicht nicht auf einem freiverantwortlichen Willensentschluss des Suizidenten beruht, und der Täter nach seiner Vorstellung Tatherrschaft über das zum Tod führende Geschehen haben will. Die bloße Anstiftung (§ 26 StGB) eines anderen zum Suizid ist demgegenüber straflos.

In mittelbarer Täterschaft handelt, wer die vom Täterwillen getragene objektive Tatherrschaft innehat, das Geschehen also mit steuerndem Willen in den Händen hält. Eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft setzt voraus, dass derjenige, der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich legt, nicht freiverantwortlich handelt. Denn nur in Fällen, in denen der Suizidentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet ist, kann der sich selbst Tötende bei wertender Betrachtung als „Werkzeug gegen sich selbst“ angesehen werden. Ob ein Suizidentschluss in diesem Sinne als freiverantwortlich zu bewerten ist, hängt davon ab, ob der Suizident über die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit verfügt und fähig ist, seine Entscheidung autonom und auf der Grundlage einer realitätsbezogenen Abwägung der für und gegen die Lebensbeendigung sprechenden Umstände zu treffen.

Die Feststellungen des Landgerichts ergaben, dass der Angeklagte nicht nur sein Opfer zum Suizid bewegen wollte, sondern die Tat sogar mit Täterwillen maßgeblich steuerte. 

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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