Anders als im Zivilprozess arbeiten im Strafprozess die Parteien nicht gegeneinander. Auch der Richter ist nicht nur dazu angehalten am Ende eine Entscheidung zu treffen, sondern ist dazu verpflichtet von Amts wegen die Wahrheit zu ermitteln. Natürlich ist es aber trotzdem so, dass die Verteidigung vor allem das Beste für seinen Mandanten im Blick hat. Dabei darf zwar nicht gelogen werden, es muss aber auch nicht alles dafür getan werden, damit die Wahrheit ans Licht kommt. Das Schweigerecht des Angeklagten ist dabei Ausdruck dieses Grundsatzes. Weil aber der Verteidiger dafür zuständig ist, das Beste für seinen Mandanten aus dem Prozess herauszuholen, ist er angehalten, die Beweise, die die Staatsanwaltschaft oder das Gericht vorbringt, zu erschüttern oder eigene Beweise hervorzubringen. Dafür muss der Verteidigung zwangsläufig ein Frage- und Vernehmungsrecht eingeräumt werden.
Grundsätzlich steht dem Gericht bzw. dem Vorsitzenden die Leitung der Sitzung und die Leitung der Beweisaufnahme zu (§ 238 I StPO). Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung haben dann im zweiten Schritt das Recht, ergänzende Fragen zu stellen (§ 240 II StPO). Theoretisch ist es aber auch möglich, die komplette Vernehmung des Zeugen oder Sachverständigen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft zugesprochen werden, das sogenannte Kreuzverhör (§ 239 I StPO).
Das Kreuzverhör, § 239 I StPO
Die Regelung des Kreuzverhörs macht es für Verteidigung und Staatsanwaltschaft möglich, die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zu übernehmen. Dann wird die Beweisaufnahme nicht mehr vom Gericht geleitet, sondern die Parteien übernehmen die Führung. Diese Art der Vernehmung ist lediglich insoweit beschränkt, als es nur auf von der Staatsanwaltschaft und/oder der Verteidigung benannte Zeugen und Sachverständige Anwendung findet. Die Vernehmung des Angeklagten steht der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung nicht zu. Auch die Vernehmung von Auskunftspersonen, die durch Privatkläger, Nebenkläger oder Nebenbeteiligte in das Verfahren eingeführt worden sind, kann nicht der Staatsanwaltschaft und/oder der Verteidigung überlassen werden.
Eine auf diese Art begonnene Vernehmung kann nicht unterbrochen oder entzogen werden. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn das Fragerecht gem. § 241 I StPO missbraucht wird. Möchte der Vorsitzende ebenfalls eine Frage stellen, ist dies nur dann möglich, wenn diese vom Vernehmungsführer gestattet wurde. Alle nicht gestatteten Fragen sind unzulässig. Allerdings kann nicht jede Frage im Rahmen des Kreuzverhörs vorgenommen werden. Ausgeschlossen sind solche Fragen, die ungeeignet sind oder nicht zur Sache gehören, § 241 II StPO. Auch die Vernehmung von minderjährigen Zeugen kann nur durch den Vorsitzenden selbst erfolgen, § 241a StPO. Auch darf das Kreuzverhör nicht durchgeführt werden, wenn bei mehreren Angeklagten kein weiterer Verteidiger am Verfahren beteiligt ist, der am Kreuzverhör mitwirken könnte.
Die praktische Relevanz des Kreuzverhörs ist eher als gering einzustufen, da die Verfahrensbeteiligten eine entsprechende Vernehmung eher als Fremdkörper empfinden. Problematisch ist im Übrigen, dass für die Durchführung eines Kreuzverhörs ein übereinstimmender Antrag von Staatsanwaltschaft und Verteidigung über die Durchführung einer entsprechenden Vernehmung notwendig ist.
Das Fragerecht nach § 240 StPO
Der Vorsitzende hat den beisitzenden Richterinnen und Richtern, der Staatsanwaltschaft, dem Angeklagten und der Verteidigung sowie den Schöffen gem. § 240 StPO zu gestatten, Fragen an den Angeklagten, die Zeugen und die Sachverständigen zu stellen.
Das Fragerecht darf gegenüber Zeugen, Sachverständigen und auch gegenüber Angeklagten ausgeübt werden. Die Befragung von Mitangeklagten durch einen Angeklagten ist hingegen ausgeschlossen.
- 240 StPO beinhaltet das Recht auf unmittelbare Befragung, das heißt, dass die Fragen ohne Vermittlung des Vorsitzenden an den Angeklagten oder die Beweisperson gestellt werden dürfen. Der Vorsitzende ist – vorbehaltlich seiner Beanstandungsbefugnis und -pflicht nach § 241 II StPO – nicht berechtigt, die Fragen an sich zu ziehen und in einer ihm als richtig erscheinenden Form zu stellen oder das gewährte Fragerecht ohne sachlichen Grund wieder zu entziehen. Der Vorsitzende darf grundsätzlich auch nicht verlangen, dass ihm der Inhalt der Fragen vorher mitgeteilt oder das Schriftstück, aus dem Zeugen Vorhalte gemacht werden sollen, vor der Befragung vorgelegt wird. Lediglich eine Erläuterung darf der Vorsitzende erbitten, wenn er die Zulässigkeit einer Frage tatsächlich nur infolge weiterer Informationen beurteilen kann.
Die Verteidigung darf einzelne und klar umrissene Fragen stellen, wobei kurze Vorhalte gegenüber der Beweisperson und kurze Ausführungen zum besseren Verständnis zulässig sind.
Grenzen des Fragerechts
Der Verteidigung kann nach § 241 I StPO das Vernehmungsrecht nach § 239 I StPO entzogen werden, wenn sie die Befugnis zur Vernehmung missbraucht. Ein Missbrauch liegt vor, wenn Art und Inhalt der Vernehmung die Wahrheitsfindung gefährden, wenn schutzwürdige Interessen des Vernommenen verletzt oder gefährdet werden oder wenn nur sachfremde Zwecke verfolgt werden. Zur Entziehung ist der Vorsitzende grundsätzlich nur berechtigt, eine Verpflichtung zur Entziehung besteht nur, wenn wesentliche Interessen eines Verfahrensbeteiligten oder die Menschenwürde verletzt werden.
Das Fragerecht gem. § 240 II StPO dagegen darf grundsätzlich nicht als Ganzes entzogen werden. Vielmehr können gem. § 241 II StPO lediglich einzelne Fragen zurückgewiesen werden, sofern sie ungeeignet sind oder nicht zur Sache gehören.
[1] Weyand, in: Das Frage- und Vernehmungsrecht der Verteidigung, NJW 2024, 637 (637).
[2] Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO, § 239, Rn. 5.
[3] Weyand, in: Das Frage- und Vernehmungsrecht der Verteidigung, NJW 2024, 637 (638).
[4] Weyand, in: Das Frage- und Vernehmungsrecht der Verteidigung, NJW 2024, 637 (638).
[5] Weyand, in: Das Frage- und Vernehmungsrecht der Verteidigung, NJW 2024, 637 (638).
[6] OLG Hamm, Beschluss vom 07.06.1993 – 2 Ss 207/93, BeckRS 1993, 31161965.
[7] BGH, Urteil vom 2.5.1961 – 5 StR 579/60, BeckRS 1961, 105349.
[8] Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO § 240 Rn. 5.
[9] Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO § 241 Rn. 2.
[10] Löwe/Rosenberg/Becker StPO, 27. Aufl. 2019, StPO § 241 Rn. 3
[11] Weyand, in: Das Frage- und Vernehmungsrecht der Verteidigung, NJW 2024, 637 (639).