Beweiswürdigung im Strafrecht

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Die Silhouette eines Mannes mit einer Lupe, der sich mit der Beweiswürdigung im Strafrecht beschäftigt.

Damit das Gericht ein Urteil fällen kann, müssen Tatsachen vorliegen, die eine Strafbarkeit begründen. Diese Tatsachen muss das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung anhand der Beweisaufnahme beweisen. In den allermeisten Fällen werden die Tatsachen anhand von Zeugenaussagen bewiesen, die dann aber vom Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung gewertet werden müssen. Diese Beweiswürdigung erfolgt anhand von allgemein anerkannten Kriterien wie auffallende negative Belastungstendenzen, Detailreichtum oder Stringenz der Aussage. Bevor das Gericht aber sich der Beweiswürdigung von Zeugen widmet, ist die Einlassung des Angeklagten zu würdigen. Dabei sind sowohl belastende als auch entlastende Tatsachen zu bewerten.

Der BGH hat nunmehr entschieden, dass weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. Danach sind auch entlastende Angaben des Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt.

Der Sachverhalt

Der Angeklagte hatte seit dem Vorabend des Tattags mit einem Freund Cannabis und Kokain konsumiert. Bitte des Freundes erklärte er sich im Laufe des Abends dazu bereit, einen verschlossenen Rucksack – über dessen Inhalt nicht gesprochen wurde – zu einer unbekannt gebliebenen Person zu bringen. Er öffnete den Rucksack nicht, hielt es aber für möglich, dass sich darin Betäubungsmittel befinden könnten, und nahm dies billigend in Kauf; nähere Vorstellungen zu Art, Qualität und Menge „der von ihm vage und pauschal für möglich erachteten Substanzen“ machte er sich nicht. Der Angeklagter bekam als Kurierlohn von seinem Freund 100 EUR und sollte zudem bei einem nächsten Treffen fünf Gramm Kokain erhalten.

Er nahm den Rucksack an sich und begab sich weisungsgemäß auf den Weg zu der ihm genannten Adresse. In seiner Jackentasche führte er einen Teleskopschlagstock und ein funktionsfähiges Tierabwehrspray mit sich. Auf diese Gegenstände wies er auf polizeiliche Nachfrage im Rahmen einer Verkehrskontrolle hin. Sie wurden neben einem Mobiltelefon, zwei 50-Euro-Scheinen und dem Rucksack sichergestellt, in dem sich 27,506 g Blütenstände von Cannabispflanzen, 226,97 g Haschisch, 78,68 g Kokain und 236,52 g Amphetamingemisch befanden.

Das Landgericht hatte die Tat als Beihilfe zur versuchten unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln gewertet.
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein.

Die Entscheidung des BGH

Die Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Beweiswürdigung zum Vorteil des Angeklagten durchgreifende Rechtsfehler enthält.

Die beweiswürdigenden Ausführungen zum Vorsatz des Angeklagter. in Bezug auf das Vorliegen einer nicht geringen Menge lassen besorgen, dass die Strafkammer überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat; sie sind zudem lückenhaft und lassen die gebotene Gesamtwürdigung der einzelnen Beweisergebnisse vermissen.

Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat. Danach sind auch entlastende Angaben des Angeklagten nicht schon deshalb als unwiderlegbar hinzunehmen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt. Zwar ist die Strafkammer angesichts des Einlassungsverhaltens des Angeklagten, der seinen Freund nicht namentlich benannt und sich in Bezug auf Nachfragen „durchgehend bedeckt gehalten“ hat, von einem indiziell nachteiligen Teilschweigen ausgegangen.

Das Urteil teilt jedoch nicht mit, zu welchen Nachfragen sich der Angeklagten nicht geäußert hat. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil er nach den Feststellungen in Bezug auf das angeblich fehlende Bewusstsein für das Mitführen der Waffen der Lüge überführt ist. Dem Senat ist es daher weder möglich, die Würdigung des LG nachzuvollziehen, noch den Schluss zu überprüfen, der Angeklagte habe „auf die Kammer einen offenen und aufrechten Eindruck“ gemacht. Das LG hat noch zutreffend in den Blick genommen, dass der Angeklagte sich erstmals zu Beginn der HV eingelassen und seine Angaben daher nicht an das Ergebnis der Beweisaufnahme angepasst hat. Es hat sich indes nicht mit der sich sodann aufdrängenden Frage beschäftigt, ob der Angeklagten seine Einlassung an den Akteninhalt ausgerichtet haben könnte und ob daher seiner Schilderung ein geringerer Beweiswert beizumessen gewesen wäre.

Die Strafkammer hat nicht widerspruchsfrei begründet, warum der Angeklagte sich einerseits weder zu Art, Qualität noch Menge der transportierten Betäubungsmittel nähere Vorstellungen gemacht, andererseits aber nicht damit gerechnet haben will, dass der Rucksack unterschiedliche Betäubungsmittel in so großen Mengen enthalten habe. Letzteres setzt aber denknotwendig nähere Vorstellungen zum Inhalt voraus, die der Angeklagte gerade in Abrede stellt.

Dass das LG ein beim Angeklagte nur „vages und pauschales Vorstellungsbild, möglicherweise Betäubungsmittel zu transportieren“ und ein nicht näher konkretisiertes Bewusstsein mit einer durch den Konsum von Kokain bedingten inneren Enthemmung und einer herabgesetzten Kritikfähigkeit begründet, ist schon für sich genommen kaum nachzuvollziehen und steht zudem in gewissem Widerspruch zur Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit.

Die Strafkammer hat zwar im Ausgangspunkt zutreffend den Angekl. belastende Aspekte (hohes Verlustrisiko für Auftraggeber des Transports, relativ hohe Entlohnung) als Indiz dafür erkannt, dass die „Einlassung abwegig ist“. Diesen Umstand hat sie aber umgehend damit entkräftet, dass „nicht zwingend“ „nur auf diesen, für den Angeklagten ungünstigen, Hintergrund zu schließen wäre“. Dies offenbart einen falschen Maßstab richterlicher Überzeugungsbildung.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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