Die Beschneidung von Jungen als religiöses Ritual ist in Deutschland auch heute noch weit verbreitet. Lange wurde darüber diskutiert, ob es sich bei der Beschneidung um eine Körperverletzung handelt, oder ob die Behandlung, solange sie von einem Arzt durchgeführt wird, straffrei sein soll.
I. Was ist Beschneidung überhaupt?
Die Zirkumzision ist die teilweise oder vollständige Entfernung der männlichen Vorhaut. Derzeit geht man davon aus, dass 25 – 33 % der männlichen Bevölkerung beschnitten sind.
Die Beschneidung von gesunden Kindern am achten Lebenstag gilt im Judentum als Gebot Gottes. Der Koran erwähnt die Beschneidung nicht ausdrücklich. Trotzdem ist sie in islamisch geprägten Ländern als Sunna weit verbreitet und wird im Kinder- bzw. Jugendalter durchgeführt.
In einigen Gesellschaften ist die Beschneidung ein Initiationsritual. Es symbolisiert die Aufnahme des Jugendlichen in die Gemeinschaft der erwachsenen Männer.
II. Entscheidung des LG Köln
Dem Amtsgericht Köln lag ein Fall vor, bei dem ein Arzt nach Einwilligung der Eltern eine Beschneidung an einem Jungen durchgeführt hatte. Das Amtsgericht Köln sprach den Angeklagten frei.
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Köln Berufung ein.
Allerdings ging auch das LG Köln davon aus, dass der Arzt sich nicht strafbar gemacht hatte.
2010 führte der Angeklagte in seiner Praxis unter örtlicher Betäubung die Beschneidung des zum Tatzeitpunkt vier jährigen Jungen mittels eines Skalpells auf Wunsch von dessen Eltern durch, ohne dass für die Operation eine medizinische Indikation vorlag. Er vernäht die Wunde mit vier Stichen und versorgte ihn bei einem Hausbesuch am Abend desselben Abends weiter. Zwei Tage später wurde das Kind von seiner Mutter in die Kindernotaufnahme in Köln gebracht, um Nachblutungen zu behandeln. Die Blutung wurde dort gestillt.
Der Angeklagte hat den Sachverhalt in vollem Umfang bestätigt. Ergänzend wurde festgestellt, dass die Familie des Kindes dem islamischen Glauben angehört. Der Angeklagte hatte die Behandlung aus religiösen Gründen auf Wunsch der Eltern durchgeführt. Ein Sachverständiger hatte später festgestellt, dass der Angeklagte fachlich einwandfrei gearbeitet hatte.
Das Landgericht ging davon aus, dass bereits der Tatbestand des § 224 I Nr. 2 Alt. 2 StGB nicht erfüllt war, weil das Skalpell bereits kein gefährliches Werkzeug darstellt.
Die auf Grund der elterlichen Einwilligung aus religiösen Gründen von einem Arzt ordnungsgemäß durchgeführte Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen Jungen ist nicht unter dem Gesichtspunkt der sogenannten Sozialadäquanz vom Tatbestand ausgeschlossen.
Die Handlung des Angeklagten war nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigt. Eine Einwilligung des Kindes lag nicht vor und kam mangels hinreichender Verstandesreife auch nicht in Betracht. Eine Einwilligung der Eltern lag vor, vermochte aber die tatbestandsmäßige Körperverletzung nicht zu rechtfertigen.
Gem. § 1627 S. 1 BGB sind vom Sorgerecht nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohle des Kindes dienen. Die Literatur geht davon aus, dass eine Beschneidung gerade nicht zum Wohle des Kindes ist, sondern ausschließlich aus religiösen Gründen durchgeführt wird.
Das LG ging jedoch davon aus, dass der Angeklagte in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum und damit ohne Schuld handelte.
Der Angeklagte hat subjektiv guten Gewissens gehandelt und ging fest davon aus, als frommer Muslim und fachkundiger Arzt es ihm erlaubt sei die Beschneidung des Knaben auf Wunsch der Eltern aus religiösen Gründen vorzunehmen. Er nahm auch sicher an, sein Handeln sei rechtmäßig.
Der Verbotsirrtum des Angeklagten war unvermeidbar. Zwar hat sich der Angeklagte nicht nach der Rechtslage erkundigt, das kann ihm hier indes nicht zum Nachteil gereicht werden. Die Einholung kundigen Rechtsrats hätte nämlich zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt. Die Frage der Rechtmäßigkeit von Knabenbeschneidungen auf Grund Einwilligung der Eltern wird in der Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet. Es liegen, wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, Gerichtsentscheidungen vor, die, wenn auch ohne nähere Erörterung der wesentlichen Fragen, inzident von der Zulässigkeit fachgerechter, von einem Arzt ausgeführter Beschneidung ausgehen, ferner Literaturstimmen, die die Frage anders als das LG beantworten würden.
III. Heutige Rechtslage
Gerade weil eine große Unsicherheit in Bezug auf die Rechtslage bei Beschneidungen bestand, hat der Gesetzgeber sich dazu entschieden § 1631 d BGB einzuführen.
Nach § 1631 d BGB umfasst die Personensorge auch das Recht, in eine medizinische nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt wird.
Das hat zur Folge, dass die mit der Beschneidung verbundene Körperverletzung nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gerechtfertigt ist, wenn eine den Voraussetzungen des § 1631 d BGB entsprechende Einwilligung vorliegt.
[1] Ärzteblatt.de, in: Ärzte kritisieren Gesetzeslage zur Beschneidung von Jungen, https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/86976/Aerzte-kritisieren-Gesetzeslage-zur-Beschneidung-von-Jungen, abgerufen am 19.04.21.
[2] Zirkumzision, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision#Auswirkungen_auf_die_Sexualität, abgerufen am 19.04.21.
[3] Zirkumzision, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision#Auswirkungen_auf_die_Sexualität, abgerufen am 19.04.21.
[4] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2128).
[5] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2128).
[6] BGH, Urteil v. 22.02.1978 – 2 StR 372/77, NJW 1978, 1206 (1206).
[7] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2129 Rn. 11).
[8] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2129 Rn. 13).
[9] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2129 Rn. 14).
[10] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2129 Rn. 15).
[11] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2129 Rn. 16).
[12] LG, Köln, Urteil v. 07.05.2012 – 151 Ns 169/11, NJW 2012, 2128 (2129 Rn. 17).
[13] Huber, in: MüKO BGB, § 1631 d, Rn. 31.