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Sterbehilfe durch Ärzte bei psychisch Erkrankten

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Ein Schwarzweißbild eines Stethoskops, das an einer Wandhalterung hängt. Darunter befindet sich eine Schachtel mit teilweise sichtbarer Beschriftung. Das Bild wirkt klinisch und medizinisch.

Suizidhilfe ist in Deutschland immer mal wieder ein großes Thema. Manche sind große Befürworter des eigenverantwortlichen Sterbens, andere sind der Meinung, das Leben sei unter allen Umständen schützenswert und der Staat sei dafür verantwortlich Zuwiderhandlungen zu sanktionieren. Fakt ist, dass in Deutschland eine Begleitung eines freiverantwortlichen Todes durch einen Arzt straffrei ist. Die Feststellung der Freiverantwortlichkeit ist dabei aber nicht immer unproblematisch möglich. 

2019 ist der heutige Angeklagte bereits schon einmal wegen einer Sterbehilfe angeklagt worden. Damals war er freigesprochen worden, weil die Suizidentin an einer chronischen Darmentzündung litt und den Sterbewunsch eigenverantwortlich äußern konnte. 

Nunmehr steht der Arzt erneut vor Gericht, weil er einer psychisch kranken jungen Frau beim Sterben half. 

 

Der Sachverhalt

Der Angeklagte war zu Tatzeit bereits 72 Jahre und seit dem Jahr 2015 in Ruhestand. Vor seiner Rente praktizierte er als Hausarzt in seiner eigenen Praxis in Berlin. In dieser Zeit behandelte er auch Patienten mit Depressionen und bipolaren Störungen. Seine ärztliche Tätigkeit beschränkte sich hierbei im Wesentlichen auf eine gesprächsorientierte Betreuung auf der Grundlage von Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, die er als psychosomatische Grundversorgung abrechnete. In einfach gelagerten Fällen verschrieb er auch Antidepressiva, ansonsten überwies er seine Patienten in fachärztliche Behandlung.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt hatte, arbeitete der Angeklagte als Freitodbegleiter bei der DGHS. Im Rahmen seiner Tätigkeit bei der DGHS lernte er das zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Suizidentscheidung entwickelte strenge Prozedere kennen, unter dem die DGHS Freitodbegleitungen an ein örtlich zuständiges Team, bestehend aus einem Arzt und einem Juristen, vermittelt.

Die spätere Geschädigte hatte im Jahr 2005 erstmals im Alter von 21 Jahren eine depressive Episode, aufgrund derer sie stationär psychiatrisch behandelt wurde und ein Antidepressivum (Fluoxetin) verschrieben bekam. In dieser Zeit unternahm sie die ersten Suizidversuche, die jedoch allesamt scheiterten.

Zwischen 2013 und Sommer 2020 fing die Geschädigte sich jedoch, begann ein Studium und fand Freunde und führte ein erfülltes Leben. Weil sich ihre Lebensumstände im Sommer 2020 änderten, verschlechterte sich auch ihr psychischer Zustand erheblich. Im März 2021 berichtete sie ihrem Psychiater, dass sie sich wieder in einer depressiven Phase befände und ihr Zustand sich nicht verbessern würde, woraufhin dieser ihr wieder ein Antidepressivum verschrieb. Im März 2021 gab sie erstmalig an, wieder Suizidgedanken zu haben und diese in die Tat umsetzen zu wollen. Auch eine mehrfache Medikamentenumstellung brachte nicht den gewünschten Erfolg. Spätestens ab dem 3. Juni 2021 befand sich die Geschädigte in einer zumindest mittelgradigen depressiven Episode ihrer manisch-depressiven Grunderkrankung, aus der sie sich nicht mehr herauszuhelfen wusste und unter der sie erheblich litt. Sie hatte nun erstmalig seit langem wieder konkrete Suizidgedanken, die sie in die Tat umzusetzen gedachte, und begann, sich im Internet über verschiedene Suizidmethoden, insbesondere das Erhängen, sowie deren Umsetzung zu informieren. Im Rahmen dieser Internetrecherchen stieß die Geschädigte auf den Angeklagten. Die suchte sodann gezielt nach der durch ihn vermittelten Suizidhilfe, nahm noch am selben Tag per E-Mail Kontakt zu ihm auf und bat ihn um ein Treffen, das sodann auf ihr Drängen bereits für den 15. Juni 2021 in ihrer Wohnung vereinbart wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte als Suizidhelfer schon 15 bis 20 Suizidbegleitungen durchgeführt, überwiegend über die DGHS und unter Verwendung des Barbiturats Thiopental. Der Angeklagte gelangte aufgrund der Darstellung der Geschädigten zu der Überzeugung, dass diese sich freiverantwortlich für ihren Suizid entschieden habe. Maßgebend für seine Einschätzung war, dass I. R. ihre Situation und ihren Wunsch zu sterben ihm gegenüber sehr bestimmt, gedanklich geordnet, reflektiert und in klarer Sprache vorgebracht und sich bei ihr keine Wahnideen gezeigt hatten. Der erste begleitete Suizidversuch der Geschädigten scheiterte, was zu einer Unterbringung nach dem PsychKG führte. 

Um nicht auch den zweiten Suizid scheitern zu lassen, gab der Angeklagte, der Geschädigten sowohl die tödlichen Medikamente als auch ein Anti-Brechmittel, sodass die natürliche Reaktion des Körpers die tödliche Dosis zu erbrechen, unterbunden wurde. 

 

Die Entscheidung des Landgerichts

Das Landgericht hat den Angeklagten zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Begründet hat das Gericht diese Entscheidung damit, dass sich der Arzt nicht ausreichend vergewissert hat, dass die Geschädigte tatsächlich freiverantwortlich ihren Willen geäußert hat zu sterben. Nach Ansicht der Richter war ein 90 minütiges Gespräch für eine derart schwerwiegende Entscheidung nicht ausreichend. Das Gericht stellte fest, dass die Geschädigte schwankend gewesen sei, was ihren Entschluss zu sterben anginge und der Angeklagte ihre Aussagen entsprechend genauer hätte überprüfen müssen. Folglich war der Sterbeentschluss gerade nicht „von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen“, was die Rechtsprechung gleichwohl für das freiverantwortliche Handeln voraussetzt.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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