BGH zur Bestellung eines Sicherungsverteidigers im Fall der „Gruppe Freital“ BGH v. 31.08.2020- StB 23/20
Derzeit müssen sich vor dem OLG Dresden mutmaßliche Mitglieder der rechtsextremen „Gruppe Freital“ verantworten. Einer der mutmaßlichen Mitglieder, ein ehemaliger NPD- Stadtrat, soll über lange Zeit der rechtsextremistischen Gruppe angehört haben und auch an dem Anschlag auf das Parteibüro der Linken beteiligt gewesen sein. Ihm wird eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung, das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion sowie das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen. Des Weiteren soll er rassistische und fremdenfeindliche Graffitiparolen im Stadtgebiet von Freital angebracht haben.
Der ehemaliger NPD-Stadtrat, und in diesem Verfahren Angeklagter, wollte nunmehr einen zweiten Pflichtverteidiger.
Dieser sogenannte Sicherungsverteidiger ist ein Pflichtverteidiger, der dem Beschuldigten zusätzlich zu seinem Wahl-oder Pflichtverteidiger in Fällen notwendiger Verteidigung zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens bestellt werden kann.
Damit ein Sicherungsverteidiger bestellt werden kann müssen die Voraussetzungen des § 144 I StPO vorliegen.
Dies ist unter anderem nur dann der Fall, wenn die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist. Die Erforderlichkeit richtet sich dabei anhand des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache.
1. Antrag vor dem OLG Dresden
Im vorliegenden Fall hatte der Angeklagte bereits während des Verfahrens vor dem OLG Dresden auf einen weiteren Pflichtverteidiger gehofft. Er begründete seinen Antrag damit, dass der Prozessstoff ebenso wie die rechtliche Bewertung der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung so schwierig sei und so viele Fragen aufwürfe, dass sie ausschließlich bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Anwälte zu bewältigen wäre. Er gab an, dass schon alleine die Ermittlungsakte bereits rund 130 Bände umfasste. Im Übrigen sei zu bedenken, dass eine höhere Anzahl von Verfahrensbeteiligten für eine längere Dauer der Hauptverhandlung sorge und man davon ausgehen müsse, dass ein Verteidiger planmäßig verhindert sei. Der Vorsitzende des OLG-Senats lehnte den Antrag des Angeklagten ab.
Begründet wurde der Beschluss damit, dass der Prozess sich zwar über fast fünf Monate bis Ende Januar 2021 erstrecken werde und das Verfahren sehr umfangreich sei, dieser Umstand jedoch noch kein Grund für einen weiteren Rechtsbeistand rechtfertige.
2. Beschwerde vor dem Bundesgerichtshof
Gegen die Entscheidung wendete sich der Angeklagte mit einer sofortigen Beschwerde und scheiterte auch vor dem Bundesgerichtshof mit seinem Begehren. Die Beschwerde war zwar zulässig, wurde aber als unbegründet zurückgewiesen.
Grundsätzlich tritt das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts und trifft selbstständige Sachentscheidungen. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn es sich bei dem Beschwerdegegenstand nur um eine verhandlungsleitende Maßnahme handelt. In diesem Fall hat der BGH nur einen eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungs-und Ermessensspielraum.
Demnach entschied der BGH, dass der Vorsitzende des OLG-Senats mit seiner Entscheidung die Grenzen des Beurteilungsspielraums des § 144 I StPO nicht überschritten habe. Der BGH geht davon aus, dass die rechtliche Beurteilung des angeklagten Sachverhalts weder außergewöhnlich schwierig sei noch, dass die voraussichtliche Dauer der Hauptverhandlung das Gericht zu der Bestellung eines zweiten Verteidigers zwinge. Auch der Umfang des Verfahrensstoffes sei als nicht so außergewöhnlich zu qualifizieren als dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken zweier Verteidiger beherrscht werden könne. Die Unterlagen seien dem Verteidiger des Angeklagten seit langem bekannt gewesen und dieser habe bereits umfangreiche Akteneinsicht genommen.
3. Beispiel für erfolgreichen Antrag eines weiteren Pflichtverteidigers
Grundsätzlich besteht natürlich die Möglichkeit, dass ein weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet wird.
Im einem Fall bei dem die Beschwerde vom OLG Düsseldorf beschieden wurde, wurden dem Angeklagten zahlreiche Delikte vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität vorgeworfen. Die Hauptverhandlung wurde ursprünglich mit 10 Sitzungsterminen bemessen. Bereits in der Vorbesprechung der Verhandlung hatte der Angeklagte einen Antrag auf Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gestellt, der von der Strafkammer jedoch abgelehnt wurde.
Daraufhin legte der Angeklagte Beschwerde vor dem OLG Düsseldorf ein.
Das OLG Düsseldorf ging davon aus, dass die engen Voraussetzungen des § 144 StPO gegeben waren und gab der Beschwerde statt. Die Ermittlungsakten umfassten mehr als 3000 Seiten. Allein die Anklage enthielt 142 Seiten und nur der Anklagesatz hatte 29 Seiten. Als Beweismittel wurden 47 Zeugen angegeben, sowie fünf sachverständige Zeugen und ein Sachverständiger. Hinzukamen zahlreiche Asservate die als Urkundsbeweis in das Verfahren eingeführt werden sollten.
Eine Anklage aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität bedarf der eingehenden Auswertung aller Akten und entsprechende Beratung mit dem Angeklagten. Im Rahmen der Anklageschrift wurde außerdem eine mögliche Anordnung der Sicherungsverwahrung diskutiert.
Auf Grund des Prozessverhaltens des Angeklagten zog sich im Übrigen ein früher gegen den Angeklagten gerichtetes Verfahren über nahezu 200 Verhandlungstage. Die Wahrscheinlichkeit, dass es auch in diesem Verfahren zu einer Verfahrensverlängerung kommen würde, wurde von dem OLG Düsseldorf als sehr hoch eingeschätzt.
4. Fazit
Die Gerichte neigen dazu, den Antrag auf einen weiteren Pflichtverteidiger abzulehnen. § 144 StPO gibt dabei sehr enge Voraussetzungen vor, sodass es den Gerichten leichter gemacht wird, die Anträge abzulehnen. Dennoch ist es nicht gänzlich ausgeschlossen, dass in schwierigen Verfahren mit langer Verfahrensdauer dem Antrag auf Bestellung des zweiten Pflichtverteidigers stattgegeben wird. Dabei scheint es erforderlich, dass in der Vorbereitung auf die Hauptverhandlung für den Verteidiger eine intensive Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Ermittlungsakten in relativ kurzer Zeit von Nöten ist. An dem Fall der „Gruppe Freital“ lässt sich aber erkennen, dass der reine Umstand einer umfassenden Ermittlungsakte und langer Verfahrensdauer die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers nicht rechtfertigt.
[1] BGH, Beschluss v. 31.08.2020, Az StB 23/20.
[2] Krawczyk, in: BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, Graf, § 144 StPO, Rn. 2.
[3] Redaktion FD-StrafR, in: Aktuelle Nachrichten, FD-StrafR 2020, 432255.
[4] Bundesgerichtshof künftig mit BGH abgekürzt.
[5] BGH, Beschluss v. 31.08.2020, Az StB 23/20, Rn. 6.
[6] Redaktion FD-StrafR, in: Aktuelle Nachrichten, FD-StrafR 2020, 432255.
[7] BGH, Beschluss v. 31.08.2020, Az StB 23/20, Rn. 11.
[8] BGH, Beschluss v. 31.08.2020, Az StB 23/20, Rn. 23 cc).
[9] BGH, Beschluss v. 31.08.2020, Az StB 23/20, Rn. 21 aa).
[10] OLG Düsseldorf, Beschluss v. 21.10.2009 – 4 Ws 485/09, NJW 2010, 391.
[11] Rettenmaier, in: Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung, NJW-Spezial 2010, 26.