Pflichtverteidiger
Manche Fälle sind so schwerwiegend oder so kompliziert, dass das Gesetz vorschreibt, dass der Angeklagte einen Verteidiger zwingend an seine Seite gestellt bekommen muss, § 140 StPO. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass ohne diesen Pflichtverteidiger, der Angeklagte sein rechtliches Gehör und damit seine Verfahrensrechte nicht ordnungsgemäß ausüben kann. Dabei ist es unerheblich, ob der Angeschuldigte rechtskundig ist oder ein juristischer Laie. Wird kein Pflichtverteidiger in einer notwendigen Sache beigeordnet, stellt dies eine Beweisverwertungsverbot bzw. einen absoluten Revisionsgrund dar.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist grundsätzlich eine richterliche Verfügung. Die Bestellung kann jedoch nach herrschender Meinung auch konkludent erfolgen. Sie muss aber ausreichend eindeutig sein und kann nicht unterstellt werden. Die Bestellung kann angenommen werden, wenn der Vorsitzende sie mündlich zusichert oder Dienstfahrten des Verteidigers genehmigt.
Eine rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers wird hingegen von der höhergerichtlichen Rechtsprechung nach Verfahrensabschluss für unzulässig gehalten, da eine Beiordnung weder dem Kosteninteresse des Verteidigers noch des Beschuldigten dienen soll, sondern lediglich dem ordnungsgemäßem Verfahrensablauf.
Hat das Gericht über die Beiordnung eines Verteidigers entschieden ist dieser Rechtsanwalt verpflichtet, die Verteidigung zu übernehmen und tatsächlich zu führen. Nur in Ausnahmefällen kann er nach § 48 Abs. 2 BRAO die Aufhebung der Beiordnung beantragen.
Durch die Beiordnung entsteht ein Verteidigungsverhältnis, welches bezüglich der Verpflichtung zum einseitigen Bestand keine Unterschiede zum Wahlmandat aufweist.
- Rücknahme der Bestellung
Manchmal möchten aber Verteidiger und Angeklagte gar nicht mehr als Team zusammenarbeiten. Dafür kann es mannigfaltige Gründe geben. Grundsätzlich kann das dazu führen, dass die Pflichtverteidigerbestellung zurückgenommen wird. Dabei ist nur fraglich, wann diese Rücknahme zulässig ist.
Im Rahmen des NSU-Prozesses kam es zwischen den Verteidigern und Beate Zschäpe mehrfach zu Zerwürfnissen und Unstimmigkeiten, weshalb sowohl ihre Verteidiger, als auch sie selbst einen Antrag auf Rücknahme der Verteidigerbestellung stellten. Sämtliche Antrage wurden als unbegründet zurückgewiesen, was zur Folge hatte, dass die Verteidiger weiterhin ihre Mandantin verteidigen mussten.
In einem anderen Fall hatte das OLG München hingegen einer Rücknahme der Bestellung wegen nachhaltiger Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zugestimmt.
- Fallbeispiel
Der bereits inhaftierte A wurde in einem Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland von seinem Pflichtverteidiger K vertreten. Nachdem K den Angeklagten mehrfach besucht hatte, verweigerte dieser nach Zustellung der Anklageschrift weitere Besuche und beantragte, die Bestellung des K zurückzunehmen und Dr. A zum Verteidiger zu bestellen. A führte aus, dass er sich von K nicht mehr ausreichend verteidigt fühle. Da die Frist zur Stellungnahme zur Anklageschrift ablief, fertigte K einen Schriftsatz ohne diesen zuvor mit dem Angeklagten oder Dr. A abgesprochen zu haben und reichte ihn bei Gericht ein. Dieser Schriftsatz enthielt auch Anhaltspunkte zu späteren Verteidigungsstrategien. K führte später dazu aus, er sei aufgrund der mehrfachen Vorgespräche mit seinem Mandanten dazu inhaltlich in der Lage gewesen.
Grundsätzlich ist die Rücknahme der Verteidigerstellung gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. § 143 StPO regelt lediglich die Rücknahme der Bestellung eines Pflichtverteidigers für den Fall, dass ein Wahlverteidiger übernehmen soll. Es ist aber anerkannt, dass eine Rücknahme zulässig ist, wenn Umstände vorliegen, „die den Zweck der Verteidigerbestellung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern sowie den geordneten Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten, ernsthaft gefährden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem bestellten Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Das ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Angeklagten aus zu beurteilen.“
Diese Voraussetzungen wurden im konkreten Fall vom OLG München bejaht.
Das OLG ging davon aus, dass ein solcher Fall vorlag. Zwar würde es nicht genügen, dass sich A nicht verteidigt fühle und deswegen keine Gespräche mehr mit K führen würde. Aber A hätte es andernfalls in der Hand, jederzeit einen Widerruf der Verteidigerbestellung herbeizuführen. Allerdings spreche das Verhalten von K nach Kenntnisnahme der weiteren Verteidigung durch Dr. A dafür, dass tatsächlich eine endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses vorliege. Denn K habe eine Stellungnahme zur Anklageschrift abgegeben, die nicht mit A abgesprochen gewesen sei. Aufgrund des Umstands, dass K unabgesprochen Stellung genommen hätte, müsste A den Eindruck gewinnen, dass der Verteidiger seine Interessen nicht in einem ausreichenden Maße vertrete. Vielmehr enthalte die Stellungnahme tatsächliche Einlassungen, die weder mit A noch mit Dr. A abgestimmt gewesen seien. Diese tatsächliche Einlassung zeigten die Verteidigungslinie des A auf. Wenn diese Verteidigungslinie jedoch nicht angesprochen gewesen sei, müsse A befürchtet haben, der Verteidiger werde auch in der Hauptverhandlung ohne Absprache mit ihm agieren. Dies begründe die endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses und stelle damit einen wichtigen Grund für den Widerruf der Bestellung des K dar.
Der Unterschied zum NSU-Verfahren lag darin, dass die Hauptverhandlung noch nicht begonnen hatte und durch die Rücknahme und daraus folgende Neubestellung eines anderen Verteidigers keine wesentlichen Verfahrensverzögerungen zu erwarten waren.
[1] Willnow, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 140, Rn. 1.
[2] Willnow, in: Karlsruher Kommentar StPO, § 140, Rn. 3.
[3] Thomas/Kämpfer, in: MüKO StPO, § 140, Rn. 59.
[4] Thomas/Kämpfer, in: MüKO StPO, § 141, Rn. 7.
[5] OLG Jena, Beschluss v. 13.01.2010 – 1 Ws 546/09, BeckRS 2010, 5953 (5953).
[6] LG Koblenz, Beschluss v. 09.02.2004 – 2 Qs 118/03, NJW 2004, 962 (962).
[7] BGH, Beschluss v. 24.07.2007 – 4 StR 336/07, NStZ 2008, 117 (118).
[8] OLG Hamm, Beschluss v. 10.07.2008 – Ws 181/08, NStZ-RR 2009, 113 (114).
[9] Thomas/Kämpfer, in: MüKO StPO, § 141, Rn. 14.
[10] BVerfG, Beschluss v. 24.11.2000 – 2 BvR 813/99, NJW 2001, 1269 (1270).
[11] OLG München, Verfügung v. 18.11.2014 – 7 St /14, BeckRS 2015, 3800 Rn. 1.
[12] OLG München, Verfügung v. 18.11.2014 – 7 St /14, BeckRS 2015, 3800 Rn. 3.
[13]OLG München, Verfügung v. 18.11.2014 – 7 St /14, BeckRS 2015, 3800 Rn. 7.
[14] OLG München, Verfügung v. 18.11.2014 – 7 St /14, BeckRS 2015, 3800 Rn. 8 ff.