Strafrechtsklassiker- Der Jauchegrubenfall

Beitrag teilen

Jauchegrubenfall

Der Jauchegrubenfall

Vermutlich jeder deutsche Jurastudent kennt den Jauchegrubenfall. Bereits in einer der ersten Strafrechtsvorlesungen wird dieser Fall besprochen. Das hat aber nicht zur Folge, dass dieser Fall nicht mehr examensrelevant ist.
In dieser Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1960 wurden Grundsätze bezüglich des Vorsatzes festgelegt, die auch bis heute gelten.

1. Der Sachverhalt

Die Angeklagte A hatte sich mit dem späteren Opfer B ein Wortgefecht geliefert. In der Folge begann sie B zu würgen. Als sie merkte, dass dies nicht ausreichte, fing sie an, der B mit bedingtem Tötungsvorsatz zwei Hände voll Sand in den Mund zu stopfen, um sie am Schreien zu hindern. Als B schließlich regungslos dalag, hielt A sie für tot. Tatsächlich war B aber nicht tot, sondern nur bewusstlos. Um die vermeintliche Leiche zu entsorgen, schmiss A die B in eine Jauchegrube. Erst dort verstarb die B infolge Ertrinkens.

2. Problemstellung

Das Schwurgericht Oldenburg hatte die A wegen vollendeten Todschlags verurteilt. Dagegen hatte A Revision eingelegt. Begründet wurde diese damit, dass man auch einen versuchten Todschlag annehmen könnte. Dabei ist entscheidend, wann der Vorsatz vorgelegen hat und inwieweit sich diese Vorsatzfassung weiterzieht. A hatte zwar während des Sand in den Mund Stopfens noch Vorsatz, bei dem in die Grube werfen jedoch nicht mehr. 

Maßgeblich für diesen Fall war es, dass der Täter am Ende eines mehraktigen Gesamtgeschehenes einen Taterfolg herbeiführt. Infolge eines Irrtums hält der Täter den Erfolg jedoch nach den ersten Handlungsabschnitten für eingetreten, sodass er bei dem zweiten Handlungsakt, der tatsächlich zur Tatbestandsverwirklichung führt, keinen Vorsatz mehr hatte. Der Täter unterliegt also praktisch zwei Irrtümern. Zum einen glaubt er, durch seine erste Handlung bereits den Taterfolg herbeigeführt zu haben und zum anderen, dass die zweite Handlung für den Taterfolg nicht mehr notwendig war.

3. Lösungsansätze und Entscheidung des BGH

Die Revision hatte vor dem BGH keinen Erfolg. Auch der BGH verurteilte die Angeklagte A wegen vollendeten Todschlags.
Letztlich gibt es für diesen Fall drei Lösungsansätze.
Die erste Ansicht entspricht der Lehre vom „dolus eventualis“. Diese Lehre wurde für die Situation kreiert, in der ein Geschehensablauf zwar insgesamt zu einem Erfolg führt, aber nur teilweise vom Vorsatz des Täters umfasst ist. Bilden mehrere Vorgänge ein einheitliches Geschehen, ist davon auszugehen, dass der Vorsatz sich auch auf den späteren Handlungsabschnitt bezieht. In dem konkreten Jauchegrubenfall ist man davon ausgegangen, dass es sich bei dem Verbergen der Leiche um einen unselbstständigen Teilakt handelte, sodass auch das Verbergen vom Vorsatz umfasst war. Diese Lehre verstößt jedoch gegen das Simultanitätsprinzip nach § 16 Abs. 1 S.1 StGB. Nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB muss der Täter bei Begehung der Tat vorsätzlich handeln.
Infolge von massiver Kritik gegenüber dieser Lehre, wird diese heutzutage praktisch nicht mehr vertreten.

Im Gegensatz dazu steht die sogenannte Versuchslösung. Bei dieser Lösung wird jeder Handlungsabschnitt gesondert betrachtet. Eine Zäsur bildet der Zeitpunkt, zu dem der Täter fälschlicherweise glaubt, dass der erstrebte Erfolg bereits eingetreten sei. Da aber zu diesem Zeitpunkt noch kein Taterfolg vorlag, den der Täter aber herbeiführen wollte, liegt ein Versuch vor. Wenn der Taterfolg dann durch den zweiten Handlungsabschnitt eintritt, liegt kein Vorsatz mehr vor, sondern der Täter ist durch ein Fahrlässigkeitsdelikt strafbar.
Das hätte im konkreten Fall zur Folge, dass sich die A wegen versuchten Todschlags in Tatmehrheit mit fahrlässiger Tötung strafbar gemacht hätte.
Auch die Versuchslösung wird größtenteils abgelehnt. Die Versuchslösung verkenne, dass der Vorsatz im Zeitpunkt des Erfolgseintritts nicht mehr vorliegen muss, sondern lediglich zu dem Zeitpunkt, zu dem der Täter den Kausalverlauf aus seiner Hand gibt.

Die wohl herrschende Ansicht geht von der Vollendungslösung aus. In der vorliegenden Konstellation ist die Bestrafung wegen eines vollendeten Delikts nicht ausgeschlossen. Es soll nach dieser Lehre vor allem entscheidend sein, ob der Irrtum maßgeblich für den Erfolgseintritt war. Der Vorsatz des Täters muss sich dabei nur auf die Grundzüge des Geschehens beziehen. Solange sich das Geschehen innerhalb der Grenzen des nach allgemeinen Lebenserfahrung voraussehbaren hält, sind die Handlungen vom Vorsatz umfasst.
Im vorliegenden Jauchegrubenfall ist auch der BGH von diesem Lösungsansatz ausgegangen, obwohl zu dieser Zeit eher die Versuchslösung als herrschend angesehen wurde. Dabei stellte er fest, dass der Irrtum der Angeklagten A unerheblich war, weil sie die B ja so oder so töten wollte. Der A war es dabei egal, ob sich durch das Erwürgen stirbt, oder durch das Ertrinken in der Jauchegrube. Demnach war auch die Verurteilung der A wegen vollendeter Tötung rechtmäßig.

[1] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (262).
[2] BGH, Urteil vom 26. 4. 1960 – 5 StR 77/60, NJW 1960, 1261 (1261).
[3] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (262 Rn. 1).
[4] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (262 Rn. 1 a.E.).
[5] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (263 Rn. 1).
[6] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (263 Rn. 1 a.E.).
[7] Hruschka, in: Die Herbeiführung eines Erfolges durch einen von zwei Akten bei eindeutigen und bei mehrdeutigen Tatsachenfeststellungen, JuS 1982, 317 (319).
[8] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (263 Rn. 2).
[9] Hruschka, in: Die Herbeiführung eines Erfolges durch einen von zwei Akten bei eindeutigen und bei mehrdeutigen Tatsachenfeststellungen, JuS 1982, 317 (319).
[10] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (263 Rn. 2 a.E.).
[11] Tröndle/Fischer, in: Fischer StGB, § 16, Rn. 7.
[12] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (263 Rn. 3).
[13] BGH, Urteil v. 26.4.1960 – 5 StR 77/60, JA 2006, 261 (264).

Suche

Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

Letzte Beiträge

Blogarchiv
Cookie-Einstellungen