Eine Haftstrafe wird verhängt, wenn der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, damit seine Tat bestraft wird bzw. er in der Haft umerzogen werden kann. Damit ein Richter ein Urteil fällen kann, muss er sich zu 100% sicher sein, dass der Beschuldigte auch tatsächlich der Täter war. Manche Urteile werden jedoch in dem Glauben der Sicherheit gefällt und stellen sich im Nachhinein als falsch heraus. Das hat zur Folge, dass ein Unschuldiger im schlimmsten Fall für mehrere Jahre im Gefängnis sitzen muss. Durchschnittlich werden in Deutschland ca. 400 Personen pro Jahr zu Unrecht inhaftiert.
Für genau diesen Fall gibt es die Haftentschädigung.
1. Anspruch auf Entschädigung
Ursprünglich wurde zu Unrecht Verurteilten 25€/Tag gezahlt. Dieser Tagessatz wurde nunmehr auf 75€ angehoben.
Der deutsche Anwaltsverein hatte zwar 100€ pro Tag gefordert, aber immerhin wurde die Summe bereits jetzt schon um das Dreifache angehoben.
In skandinavischen Ländern wird im Gegensatz dazu einem unschuldig Inhaftierten zwischen 150€ und 200€ pro Tag gezahlt.
Von diesen Entschädigungen sind insbesondere die Fälle erfasst, in denen ein Unschuldiger in Untersuchungshaft muss und sich die ursprünglichen bestehenden Verdachtsmomente nicht erhärten ließ, § 2 StrEG. Auch eine richterliche Verurteilung sorgt für eine mögliche Haftentschädigung. Auch wenn der Beschuldigte durch ein Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen oder die Strafe aufgehoben oder gemildert wird, § 1 StrEG besteht ein Anspruch auf Entschädigung. Ebenso, wenn der Beschuldigte einstweilige untergebracht wurde, § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG.
Die Haftentschädigung dient dem Ausgleich immaterieller Schäden. Man kann diese Zahlungen also praktisch als Schmerzensgeld für den erlittenen Freiheitsentzug ansehen. Anderweitige erlittene Schäden, wie beispielsweise Verdienstausfall, werden ebenfalls nach § 7 StrEG ersetzt. Für diese Schäden trägt der Betroffene allerdings die volle Beweislast und muss den erlittenen Verdienstausfall vollständig belegen. Dies wird insbesondere dann schwierig, wenn es sich bei dem Unschuldigen um einen Selbstständigen handelt. Ob ein Entschädigungsanspruch besteht, wird von Amtswegen festgestellt.
Eine Ausnahme besteht allerdings dann, wenn der Betroffene seine Inhaftierung durch unrichtige Angaben selbst mitverschuldet hat. In diesem Falle können die Schadensersatzansprüche gekürzt werden oder gänzlich entfallen.
Im Übrigen besteht bei der Beantragung der Zahlung Fristen, die einzuhalten sind.
Vermutlich einer der berühmtesten Fälle in den letzten Jahren ist der Fall des Gustl Mollath.
Mollath wurde zwar vom LG Nürnberg-Fürth von den Vorwürfen wegen gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung freigesprochen, gleichzeitig wurde aber die Unterbringung des Beschuldigten in ein psychiatrisches Krankenhaus gem. § 63 StGB angeordnet.
Vom Landgericht wurde festgestellt, dass Mollath seine damalige Ehefrau mehrfach grundlos mit den Fäusten auf den gesamten Körper geschlagen habe. Außerdem soll er sie derart heftig in den Arm gebissen habe, dass von der blutenden Wunde eine sichtbare Narbe zurückgeblieben sei, und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Als sie daraufhin wehrlos auf dem Boden gelegen habe, soll er sie mindestens dreimal mit den Füßen getreten haben
In der Zeit vom 31.12.2004-2005 soll Mollath mehrere Kraftfahrzeuge verschiedener Personen beschädigt haben, die in irgendeiner Form mit seiner damaligen Ehefrau in Verbindung standen.
Im Übrigen stellte das Landgericht fest, dass nicht ausgeschlossen werden könnte, dass der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Tat nicht schuldfähig gewesen sei. Ein dazu vorliegendes Sachverständigengutachten ergab, dass der Mollath an einer paranoiden Wahnsymptomatik leide, die sein Denken und Handeln zunehmend bestimmen würde. Da weitere Taten zu erwarten sei, wäre eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung notwendig und geboten. Ein weiterer Sachverständige bestätigte das Gutachten auch nach der vorläufigen Unterbringung und gab an, dass nicht zu erwarten sei, dass Mollath außerhalb des Maßregelvollzugs straffrei leben würde. Auch die behandelnde Klinik schloss sich dieser Stellungnahme an.
Gegen dieses Urteil legte Mollath 2013 Verfassungsbeschwerde ein. Diese hatte Erfolg.
Maßgeblich für diese Entscheidung war der Eingriff in Art. 2 Abs. 2 GG. Dieses Grundrecht hat eine freiheitssichernde Funktion. Unverzichtbare Voraussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen.
Im Rahmen des Gebots der bestmöglichen Sachaufklärung besteht bei notwendigen Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist. Der Richter muss dabei die Aussagen des Gutachtens selbst bewerten und darf die Prognoseentscheidung nicht dem Sachverständigen überlassen.
Damit eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik rechtmäßig ist, muss die Gefahr, die von dem Täter ausgeht „erheblich“ sein.
Die Beurteilung dafür ist darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gesicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt.
Bei dem Beschuldigten Mollath ist nicht ersichtlich, worauf sich die Annahme der Begehung weiterer Straftaten ergibt.
Die damalige Tat lag zum Entscheidungszeitpunkt bereits 10 Jahre zurück und war eine Beziehungstat. Mollath war zwischenzeitlich von seiner Frau getrennt und äußerte auch keinerlei Rachegedanken.
Nach knapp sechs Jahren nach seiner Entlassung aus der Unterbringung will Mollath nunmehr Geld für 2747 verlorene Tage und Nächte. Seine Chancen dieses Geld zu erhalten werden auch als nicht schlecht eingeschätzt. Mollath fordert insgesamt eine Summe von 1,8 Millionen Euro Schadensersatz vom Freistaat Bayern.
[1] Anzahl der unschuldig in Haft genommenen Personen und der entschädigten Hafttage in Deutschland im Jahr 2011 nach Bundesländern, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/241461/umfrage/unschuldig-inhaftierte-und-entschaedigte-hafttage-in-deutschland/, abgerufen am 12.11.2020.
[2] Werner, in: Strafverfolgung, ungerechtfertigte, Creifelds, Rechtswörterbuch, Nr. 1.
[3] Werner, in: Strafverfolgung, ungerechtfertigte, Creifelds, Rechtswörterbuch, Nr. 4.
[4] Werner, in: Strafverfolgung, ungerechtfertigte, Creifelds, Rechtswörterbuch, Nr. 2.
[5] Werner, in: Strafverfolgung, ungerechtfertigte, Creifelds, Rechtswörterbuch, Nr. 5.
[6] LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 08.08.2006- 7 KLs 802 Js 4743/2003, BeckRS 2013, 16895 (16895).
[7] BVerfG, Beschluss v. 26.8.2013 – 2 BvR 371/12, NJW 2013, 3228 (3229).
[8] BVerfG, Beschluss v. 07.10.1981 – 2 BvR 1194/80, NJW 1982, 691 (693).
[9] BVerfG, Beschluss v. 26.8.2013 – 2 BvR 371/12, NJW 2013, 3228 Rn. 42.
[10] BVerfG, Beschluss v. 08.10.1985 – 2 BvR 1150/80, 2 BvR 1504/82, NJW 1986, 767 (769).
[11] BVerfG, Beschluss v. 08.10.1985 – 2 BvR 1150/80, 2 BvR 1504/82, NJW 1986, 767 (769).
[12] BVerfG, Beschluss v. 26.8.2013 – 2 BvR 371/12, NJW 2013, 3228 Rn. 45.
[13] LG München: Justizopfer Mollath steht wohl Entschädigung zu, becklink 2012603.