EM und Strafrecht

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Eine Person in einem weißen Outfit mit blauen Mustern hält in jeder Hand eine brennende Fackel, aus der roter Rauch austritt. Der Hintergrund ist mit Rauch gefüllt, was eine dynamische und energiegeladene Szene suggeriert. Die Person scheint an einer Feier oder Aufführung teilzunehmen.

Derzeit findet in Deutschland die Europameisterschaft im Fußball statt. Das hat zur Folge, dass viele Nationen nach Deutschland kommen um ihre Mannschaft anzufeuern. Leider gibt es an Orten, an denen viele Menschen zusammenkommen auch immer die Möglichkeit, dass Straftaten begangen werden. Insbesondere, wenn neben der großen Ansammlung von Menschen auch noch der Konsum von Alkohol und Drogen hinzukommt. 

Im Rahmen der EM haben deutsche Musiker einen inoffiziellen EM-Hit herausgebracht. Darin heißt es „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“. Gesungen wird das Lied vom sogenannten Balkonultra. Der „Balkonultra“ ist der 29-jährige Niko Thoms aus Sachsen. Der Altenpfleger lädt in seiner Freizeit Videos auf TikTok hoch, in denen er typische Stadion-Parolen aus der Ultra-Szene von seinem Balkon grölt. Nunmehr ist einer seiner Videos viral gegangen. Darin skandiert er: „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen. Wir werden dafür kämpfen. Und lassen Emotionen freien Lauf“. Als YouTuber Marc Eggers und Mallorca-Schlagersänger Ikke Hüftgold  auf den „Balkonultra“ aufmerksam wurden, ging plötzlich alles ganz schnell: Zwei Tage nach der Anfrage von Ikke Hüftgold nahmen sie gemeinsam den „Pyrotechnik“-Fangesang im Tonstudio auf, im Anschluss flogen sie für einen ersten Auftritt zum Ballermann.  

 

Inzwischen hat „Pyrotechnik“ über 2 Millionen Wiedergaben bei Spotify und wird nicht mehr nur von heimischen Balkonen gegrölt, sondern auch am Ballermann und in der deutschen EM-Fankurve. 

 

Ist Pyrotechnik denn wirklich kein Verbrechen?

 

  • 12 Abs. 1 StGB definiert „Verbrechen“ als rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind. Straftaten, die mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bedroht sind, gelten als „Vergehen“ (§ 12 Abs. 2 StGB).

Für die Frage der Strafbarkeit kommt es grundsätzlich stark darauf an, welche Art von Pyrotechnik in welchem konkreten Umfeld und der konkreten Situation genutzt wird. Die Palette der Pyrotechnik in Fußballstadien ist breit. Sie erfasst zum Beispiel das Abbrennen von bengalischen Feuern („Bengalos“), das Zünden von Notsignalraketen, die Explosion von Knallkörpern oder auch Rauchbomben. Das Problem: Für die Ultra-Szene gehört das Abbrennen von Pyrotechnik einfach dazu. 

Pyrotechnik ist aber nicht ungefährlich. So kann die Hitze der Feuerwerkskörper in einer so engen Menschenmenge zu erheblichen Verbrennungen, Rauchvergiftungen, Prellungen, Platzwunden oder Knalltraumata führen. Bengalos werden nicht nur bis zu 2.500 Grad heiß, sondern auch so hell, dass sie Augenschäden herbeiführen können. Der durch Pyrotechnik oft entstehende dichte Rauch ist zudem nicht nur sehr giftig, sondern kann auch eine Massenpanik auslösen.

Deshalb ist Pyrotechnik in deutschen Stadien gem. § 24 der Sicherheitsrichtlinien des Deutschen Fußball-Bundes e.V. (DFB) grundsätzlich verboten. Wird dagegen verstoßen droht bundesweites Stadionverbot oder den Vereinen, denen die Ultras, die die Pyrotechnik genutzt haben angehören, eine Geldstrafe. 

 

Für Strafgerichte ist das Entzünden von Pyrotechnik meistens dann relevant, wenn dabei Menschen zu Schaden kommen. In diesen Fällen ist meist der Tatbestand der gefährlichen Köperverletzung erfüllt, weil es sich bei den in Fußballstadien häufig verwendeten pyrotechnischen Gegenständen regelmäßig um gefährliche Werkzeuge handelt. Bengalos oder Böller werden wegen ihrer massiven Hitzeentwicklung bzw. Explosionswirkung sowohl objektiv als auch aufgrund ihres konkreten Einsatzes in einer Menschenmenge geeignet sein, erhebliche Verletzungen zu verursachen. Wird giftiger Rauch freigesetzt, kommt ein Beibringen von gesundheitsschädlichen Stoffen nach § 224 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB in Betracht.

Deutlich problematischer im Hinblick auf eine Strafbarkeit ist der subjektive Tatbestand. Den Ultras sollte nicht unterstellt werden, dass sie mit dem Entzünden der Bengalos bewusst Mitmenschen verletzen wollen. Allerdings ist für eine Körperverletzung der sogenannte Eventualvorsatz ausreichend, wonach der Täter die Gefahr erkennt und billigend in Kauf nimmt. Liegt auch diese Vorsatzform nicht vor, kann nur von einer fahrlässigen Körperverletzung ausgegangen werden. 

Wird hingegen niemand verletzt oder die Erheblichkeitsschwelle zur Körperverletzung aufgrund leichter Beeinträchtigungen wie kurzzeitigem Husten nicht überschritten, ist eine Versuchsstrafbarkeit möglich. 

 

Neben etwaige Körperverletzungsdelikte kann sich auch eine Strafbarkeit durch die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion ergeben. Dafür muss die Sprengstoffexplosion Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet haben. Erfasst ist nur Pyrotechnik, die eine erhebliche Explosion und dadurch eine konkrete Gefahr verursacht. Kleinere Explosionen wie bei handelsüblichen Feuerwerkskörpern sollen nach h.M. nicht erfasst werden. Im Stadion-Kontext greift die Norm vor allem bei besonders gefährlichen illegalen Böllern.

Auch Strafbarkeiten wegen Sachbeschädigung oder Brandstiftung sind theoretisch beim Entzünden von Pyrotechnik möglich. 

Auch eine Strafbarkeit wegen Landfriedensbruch kann beim Abbrennen von Pyro in Betracht kommen. Danach wird bestraft, wer sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit beteiligt, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden. Solche Gewalttätigkeiten können vorliegen, wenn Stadionbesucher gezielt mit Sprengkörpern beworfen werden. Der Tatbestand ist aber nur dann erfüllt, wenn nicht nur ein einzelner Täter handelt, sondern die Pyro aus einer Menschenmenge heraus entzündet wird. 

 

Das Song „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“ mag sich zwar als EM-Hit mausern, allerdings ist er inhaltlich nicht ganz korrekt. 

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[1] Reisch, in: Ist Pyrotechnik ein Verbrechen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/pyrotechnik-em-hit-2024-verbrechen-strafrecht-kriminologie/, abgerufen am 28.06.2024.
[2] Reisch, in: Ist Pyrotechnik ein Verbrechen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/pyrotechnik-em-hit-2024-verbrechen-strafrecht-kriminologie/, abgerufen am 28.06.2024.
[3] Reisch, in: Ist Pyrotechnik ein Verbrechen?, LTO, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/pyrotechnik-em-hit-2024-verbrechen-strafrecht-kriminologie/, abgerufen am 28.06.2024.
[4] BGH, Beschl. v. 08.12.2021 – 3 StR 264/21.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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