Strafrechtsklassiker- Der Staschinsky-Fall

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Ein Mann mit Hut und Mantel, der eine Zigarette raucht, der Fehler während einer OP.

Strafrechtsklassiker- Der Staschinsky-Fall

1. Der Sachverhalt

Der Angeklagte arbeitete bei dem sowjetischen Staatssicherheitsdient (damals MGB und später dann UdSSR). Während seiner Arbeit trug er den Decknamen „Oleg“. Er war dafür zuständig Exilpolitiker im Ausland zu „beseitigen“, die der Regierung gefährlich werden könnten.
Der Vorgesetztes S des Angeklagten erteilte daraufhin dem Angeklagten die Anweisung für das Attentat auf R. Dabei ordnete S an, dass der Angeklagte sofort nach München reisen sollte und die Tat auszuführen habe. Er übergab ihm die Tatwaffe, Antigift-Mittel und wies ihn an spätestens zehn Tage später zurückzukehren.
Daraufhin flog der Angeklagte nach München und handelte von da aus „fast automatisch“. Als er dann auf den R wartete und hörte, dass dieser in einen Raum kam, nahm er seine Waffe und ging R entgegen. Als sie sich auf einer Treppe begegneten, richtete er die Waffe auf das Gesicht des R und drückte ab. R torkelte nach vorne und verstarb noch am Tatort.

2. Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH hat festgestellt, dass R heimtückisch getötet worden ist.

Heimtückisch tötet, wer das Opfer unter bewusster Ausnutzung von dessen Arg- oder Wehrlosigkeit tötet. Der Täter braucht diese Arg- oder Wehrlosigkeit nicht selber bewusst herbeigeführt oder bestärkt zu haben. Arglos ist, wer sich zumindest zu dieser Zeit von diesem Täter keines Angriffs versieht. Es ist also rechtlich nicht entscheidend, wenn jemand beispielsweise einen Grund zur Vorsicht hat und deshalb eine Waffe trägt. R war zum Zeitpunkt der Tatausführung arglos.

Das Attentat ist dem Angeklagten von sowjetischer Höchster Stelle befohlen worden. Tötungsbefehle und andere Willkürmaßnahmen waren zu dieser Zeit in der Sowjetischen Union nicht untypisch. Der Auftraggeber hat dem Angeklagten im Vorhinein die wesentlichen Merkmale des Attentats wie Opfer, Waffe, Tatzeit und Tatort genannt. Der Vorgesetzte S hat vorsätzlich gehandelt. Auch das Merkmal der Heimtücke, kann dem S zugeordnet werden, weil dieser bewusst die Arg- und Wehrlosigkeit des R ausgenutzt hat. Als Taturheber, Drahtzieher im eigentlichen Sinne, hatte S Täterwillen, ohne dass dabei in rechtlicher Beziehung feststehen muss, welche Einzelperson diesen Täterwillen gehabt haben. Diese eigentlichen Taturheber sind daher Täter.

Der Angeklagte entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft war jedoch nur als Mordgehilfe zu verurteilen. 

Gehilfe ist, wer die Tat nicht als eigene begeht, sondern nur als Werkzeug oder Hilfsperson bei fremder Tat mitwirkt. Maßgeblich dafür ist die innere Haltung zur Tat. Demnach kommt als Täter auch in Betracht, wer die Tat vollständig durch Andere ausführen lässt, andererseits als bloßer Gehilfe auch derjenige, der alle Tatbestandsmerkmale eigenhändig erfüllt. Nach Auffassung des BGH kann insbesondere auch derjenige Gehilfe sein, der alle Tatbestandsmerkmale selber erfüllt.

Was der Beteiligte wolle, sei nach Auffassung des BGH auf Grund aller Umstände, die von seiner Vorstellung umfasst waren, vom Gericht wertend zu beurteilen. Ein wesentlicher Anhaltspunkt ist es, wie weit er den Geschehensablauf mitbeherrsche, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch von seinem Willen abhänge. Sei er ohne eigenes Interesse an dem Erfolg der Tat, so könne seine Einstellung zu ihr trotzdem aus anderen Gründen als Täterwillen zu beurteilen sein.

Besondere Umstände von staatlich befohlenen Verbrechen befreien den Tatbeteiligten keineswegs von der strafrechtlichen Schuld. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Norme des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden.
Staatliche Verbrechungsbefehle können allerdings als ein Strafmilderungsgrund gewertet werden. Wer aber politische Mordhetze willig nachgibt, sein Gewissen zum Schweigen bringt und fremde verbrecherische Ziele zur Grundlage eigener Überzeugung und eigenen Handelens macht, kann sich nicht darauf berufen, nur Tatgehilfe zu sein. Sein Denken und Handeln deckt sich mit dem eigentlichen Taturheber.

Eine Ausnahme kann aber dann gegeben sein, bei denjenigen, die solche Verbrechensbefehle missbilligen und ihnen widerstreben, sie aber gleichwohl aus menschlicher Schwäche ausführen, weil die Übermacht der Staatsautorität nicht gewachsen sind und ihr nachgeben. Es besteht kein hinreichender rechtlicher Grund, solche Menschen ausnahmslos und zwangsläufig von vornherein schon in der Beteiligungsform dem Taturheber gleichzusetzen.

Unter Berücksichtigung aller Umstände ergibt sich, dass die innere Haltung des Angeklagten die Tat nicht als eigene wollte und kein eigenes Interesse an ihr und keinen eigenen Täterwillen hatte. Ein eigenes materielles oder politisches Interesse als Indiz für seinen Täterwillen hat nicht bestanden.
Das Opfer als zu beseitigenden Feind der Sowjetunion anzusehen, entsprang nicht seiner eigenen politischen Gesinnung. Solche Vorstellungen sind ihm von seiner Jugend an ohne Erfolg indoktriniert worden.

3. Fazit

Diese Entscheidung ist eine der wichtigsten strafrechtlichen Entscheidungen im Hinblick auf die Abgrenzung Täter und Teilnehmer des BGH. Auch wenn die Konstellation des mittelbaren Täters auf den ersten Blick etwas konstruiert wirkt, ist das Ziel dieser Entscheidung deutlich. Der BGH wollte damals mit allen Mitteln vermeiden, dass der Angeklagte als Mittäter bestraft werden musste. Die daraus entwickelte animus-Theorie, die besagt, dass Täter nur derjenige ist, der auch Täter sein will, kommt zwar durch den später eingeführten § 25 I StGB nicht mehr ganz so häufig zur Anwendung, vollständig aufgegeben ist sie aber bis heute nicht.

[1] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (355).
[2] BGH, Urteil v. 22.01.1952 – 1 StR 485/51, NJW 1952, 834 (835).
[3] BGH, Urteil v. 24.02.1955 – 3 StR 543/54, NJW 1955, 759 (760).
[4] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (356).
[5] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (356).
[6] BGH, Urteil v. 12.02.1952 – 1 StR 59/50, NJW 1952, 552 (553).
[7] BGH, Urteil v. 05.05.1954 – 1 StR 626/53, NJW 1954, 1374 (1375).
[8] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (357).
[9] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (358).
[10] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (358).
[11] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (358).
[12] BGH, Urteil v. 19.10.1962 – 9 StE 4/62, NJW 1963, 355 (358).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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