Strafrechtsklassiker – Der Hochsitzfall

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Ein einsamer Baum mitten auf einem Feld bei Sonnenuntergang, der hoch und ungestört inmitten der goldenen Farbtöne der Natur steht.

Auch dieses Urteil gehört zu den Strafrechtsklassikern und wird bis heute in deutschen Hörsälen gelehrt. Das nachfolgende Urteil galt insbesondere deshalb als besonders umstritten, weil der BGH den „Unmittelbarkeitsgrundsatz“ im Rahmen von § 227 StGB besonders weit aufgefasst hat. Dabei kam es darauf an, wie direkt die Todesfolge mit der Körperverletzungshandlung zusammenhängen muss. 

1. Der Sachverhalt

Der Angeklagte warf im November im Wald den Hochsitz um, auf dem sein Onkel D saß, um die Jagd auszuüben. Der Hochstand war etwa 3,5 m hoch. D fiel von dem Hochsitz herunter und brach sich dabei den rechten Knöchel. Dieser Bruch musste operativ behandelt werden. Dabei wurden ihm Metallschrauben, sowie eine Metalllasche eingesetzt. Im Dezember wurde D aus dem Krankenhaus entlassen. Weder während seiner Behandlung noch später wurden ihm blutverflüssigende Mittel oder Anweisungen über notwendige Verhaltensweisen gegeben. Auch eine Nachbehandlung fand nicht statt. Zu Hause war der Geschädigte praktisch ausschließlich bettlägerig. Mitte Dezember wurde er wegen Atemnot ins Krankenhaus gebracht, in dem er noch am selben Tag starb. 

Todesursache war Herz-Kreislauf-Versagen infolge des Zusammenwirkens einer doppelseitigen Lungenembolie mit einer herdförmigen Lungenentzündung in beiden Lungenunterlappen. Embolie und Lungenentzündung hatten sich in Folge der Krankenlager entwickelt. Bei dem Verstorbenen wurde im Übrigen altersbedingte Verschleißerscheinungen am Herz-Kreislaufsystem festgestellt.

Das LG hatte den Angeklagten wegen gefährlicher Köperverletzung verurteilt. 

Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein und erstrebte damit eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge. 

2. Entscheidung des BGH

Das Landgericht konnte nicht eindeutig feststellen, dass der Angeklagte die Todesfolge fahrlässig verursacht hatte, weshalb eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gem. § 227 StGB nach Ansicht des LG nicht möglich war. Grundsätzlich lasse es sich nicht ausschließen, dass erst das Hinzutreten besonderer, für den Angeklagten nicht erkennbarer und daher ihm nicht anzulastender Umstände“ für den tödlichen Ausgang entscheidend gewesen sei. Es wären keine Maßnahmen verordnet worden, die nach so einer Operation bzw. mit solchen Vorerkrankungen möglicherweise möglich gewesen wären. Für den Angeklagten sei dies nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, sodass er den nahenden Tod nicht hätte vorhersehen können und ihn kein Vorwurf der Fahrlässigkeit treffe. 

Nach Ansicht des BGH ist diese Auslegung des § 227 StGB nicht frei von Rechtsfehlern. Die Vorschrift setzt voraus, dass durch die Köperverletzung der Tod eines Verletzten verursacht worden ist, wobei dem Täter hinsichtlich dieser Tatfolge Fahrlässigkeit zur Last fallen muss. Dabei reicht es nicht aus, dass zwischen der Köperverletzungshandlung und dem Todeserfolg überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Vielmehr wird eine enge Beziehung zwischen Köperverletzung und Todeserfolg verlangt. § 227 StGB gilt nur für solche Körperverletzungen denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen.

Diese Einschränkung hat aber nicht zur Folge, dass die Anwendung des § 227 StGB ausgeschlossen ist, wenn die Körperverletzungsfolge nicht mit dem Risiko eines tödlichen Ausgangs behaftet erscheint und der Tod des Verletzten dann erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände herbeigeführt wird. Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich nicht auf die Herbeiführung lebensbedrohlicher Körperverletzungen. Eine derart enge Auslegung würde dem Schutzzweck der Norm nicht gerecht. Es reicht für den Tatbestand es  § 227 StGB aus, dass der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und sich dann dieses, dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes verwirklicht.

An dem notwendigen Zusammenhang fehlt es hingegen nicht immer schon dann, wenn zunächst nur eine Verletzung eintrat, die nicht lebensbedrohlich erschien, dann aber doch infolge des Hinzutretens besonderer Umstände zum Tod des Verletzten führte.

Der Angeklagte hatte, indem er den Hochsitz umwarf, um seinen Onkel zu verletzten, eine Handlung begangen, die für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs in sich barg. Die Gefahr der Handlung hat sich in dem tödlichen Ausgang niedergeschlagen. Daran ändert sich auch dann nichts, dass der zunächst verursachte Knöchelbruch für sich nicht lebensbedrohlich schien. Der Tod des D ist jedoch aufgrund eines Geschehensablaufs eingetreten, der nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit lag. Eine Sprunggelenksfraktur führt regelmäßig zu einem Krankenlager, wodurch eine Embolie und Lungenentzündung begünstigt wird.
Das hat zur Folge, dass es nur darauf ankommt, ob der Angeklagte den Tod des D vorhersehen konnte. Das LG hat diese Frage verneint. Dabei wurde jedoch nur geprüft, ob der Angeklagte vorhersehen konnte, dass die tatsächlich eingetretene Körperverletzungsfolge zum Tode des Verletzten führen würde. Es wäre aber zu prüfen gewesen, on der Angeklagte bei der Vornahme der Körperverletzungshandlung selbst vorhergesehen hat, dass diese seine Handlung den Tod des Opfers nach sich ziehen werde. Die Vorhersehbarkeit muss sich dabei nicht auf alle Einzelheiten des daran anschließenden, zum Tod führenden Geschehensablauf erstrecken. Ein nicht völlig außerhalb jeder Lebenserfahrung liegender Geschehensablauf wird regelmäßig auch vorhersehbar sein, sodass der Vorwurf der Fahrlässigkeit nur dann entfällt, wenn der Angeklagte nach seinem persönlichen-individuellen Wissens- und Erfahrungsstand nicht in der Lage gewesen ist, sich den Tod des Opfers als mögliche Folge der von ihm begangenen Körperverletzung vorzustellen.

[1] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2831).
[2] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2831).
[3] BGH, Urteil v. 30.09.1970 – 3 StR 119/70, NJW 1971, 152 (153).
[4] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2831).
[5] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2831).
[6] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2832).
[7] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2832).
[8] BGH, Urteil v. 30.06.1982 – 2 StR 226/82, NJW 1982, 2831 (2832).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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