Strafrechtsklassiker- Der Blutrauschfall

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Ein Blutspritzer auf einer Toilette in Deutschland.

Schwerpunkt des nachfolgenden Falles ist, ob ein Strafbarkeitsausschluss auch im Falle eines schuldhaft herbeigeführten Affektzustands in Betracht kommen kann. Ein Affektzustand ist eine vorübergehende Gemütserregung oder Gefühlswallung, die durch äußere Anlässe oder innere psychische Vorgänge ausgelöst wird. 

1. Der Sachverhalt

Die Angeklagte wollte sich über eine sie und ihren Ehemann beleidigende Äußerung an einer Mitbewohnerin rächen. Sie forderte ihre Mitbewohnerin K auf, sie in den Keller zu begleiten. Als K dies tat, schlug die Angeklagte ihr mit einem verborgen gehaltenen Hammer von hinten heftig auf den Kopf, um sie zu verletzen. Weil K sich wehrte und schrie, versetzte ihr die Angeklagte noch mehrfache Schläge auf den Kopf und schubste sie so sehr, dass K die Treppe hinunterstürzte und am Fuße der Treppe liegen blieb. Die Angeklagte konnte das Schreien und Röcheln der schwerverletzten K nicht ertragen und befürchtete, dass K sie anzeigen werde. Deshalb fasste sie den Entschluss, K zu töten, um sie endgültig zum Schweigen zu bringen. Deshalb schlug sie erneut mit dem Hammer auf Kopf und Gesicht der K. Durch diese Schläge geriet die Angeklagte in einen sogenannten Blutrausch, sodass sie sich, ohne sich den nachfolgenden Handlungen bewusst zu werden, ein im Keller stehendes Bergmannsbeil ergriff und damit auf Gesicht und Kopf der K einschlug. Durch fünf der insgesamt 30 Schläge mit dem Hammer und Beil wurde K so schwer getroffen, dass sie an diesen Verletzungen starb.

Das Schwurgericht hatte die Angeklagte wegen versuchten Totschlags zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. 

Dagegen legte die Staatsanwaltschaft Revision ein.

2. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Entscheidende Frage, die das Schwurgericht erneut prüfen muss, ist, ob die Angeklagte wegen vollendeter Tötung zu verurteilen ist. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass es möglich erscheint, dass das Gericht mit der Annahme einer nur versuchten Tötung gegen das sachliche Recht verstoßen hat. Es konnte nicht eindeutig feststellen, welche der fünf von den 30 Schlägen ursächlich für den Tod waren. Das Schwurgericht ging zugunsten der Angeklagten davon aus, dass der Tod durch die Beilhiebe herbeigeführt worden war, für welche die Angeklagte infolge des Blutrausches nicht mehr verantwortlich gemacht werden konnte. Grundsätzlich können hochgradige Zorn- oder Angstaffekte die Zurechnungsfähigkeit ausschließen. Dem Bundesverfassungsgericht erscheint es allerdings zweifelhaft, ob die hierbei gemachte Einschränkung, dass nur dem unverschuldeten Affekt schuldausschließende Wirkung zukommt, in den Fällen affektbedingter völliger Ausschaltung jeden Bewusstseins mit dem Gesetz vereinbar ist. 

Selbst wenn das Schwurgericht bei der erneuten Verhandlung zu dem Entschluss kommt, dass die Angeklagte, als sie mit dem Beil zuschlug, in einen unzurechnungsfähigen Zustand geraten war, muss das Gericht prüfen, ob die Angeklagte nicht der vollendeten Tötung schuldig ist. 

Das Bundesverfassungsgericht stimmt dem Schwurgericht insoweit zu als dass der Angeklagten diejenigen Schläge, die sie möglicherweise im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit versetzt hat, nicht als strafrechtlich bedeutsame Handlung zugerechnet werden kann. Diese Schläge könnten aber in einem ursächlichen Zusammenhang mit den von der Angeklagten zuvor im Zustand der Zurechnungsfähigkeit begangenen Handlungen zu verantworten sein. Entscheidend ist demnach, ob die Schläge mit dem Hammer, die die Angeklagte mit Tötungsvorsatz der K versetzte, die Ursache für den Blutrausch waren und in welchem Zustand die Angeklagte ihre Tat zu Ende geführt hatte. 

Der Vorsatz muss sich auf den ganzen Geschehensablauf erstrecken. Dementsprechend muss das Schwurgericht erneut feststellen, welche Vorstellungen die Angeklagte hatte, ob sie beispielsweise gewarnt durch ihrer früheren Jähzornausbrüche eine derartige Entwicklung vorausgesehen oder mit einer solchen Möglichkeit gerechnet und sie gebilligt hat. Selbst wenn das Schwurgericht dies verneint, ist eine Verantwortlichkeit der Angeklagten noch nicht ausgeschlossen. Alle Einzelheiten eines Geschehensablaufs lassen sich nicht voraussehen, sodass Abweichungen gegenüber dem vorgestellten Verlauf regelmäßig den Vorsatz nicht ausschließen, wenn sie sich noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten.

Nach bisherigen Feststellungen des Schwurgerichts, scheint der Handlungsablauf nur insofern von den Vorstellungen der Angeklagten abzuweichen, als die Erregung über ihr eigenes Handeln ihr Bewusstsein verdunkelt hat, während sie genauso fortfuhr wie sie auch im Zustand der Zurechnungsfähigkeit begonnen hatte. Kommt das Schwurgericht bei einer erneuten Verhandlung zu dem gleichen Ergebnis, ist die Angeklagte nicht wegen eines versuchten, sondern wegen eines vollendeten Tötungsdelikts zu verurteilen.

3. Fazit

Gerade bei besonders grausamen Taten neigt man dazu einen Schuldausschließungsgrund zu suchen. Man geht davon aus, dass ein gesunder Mensch zu so einer Tat unter normalen Umständen gar nicht in der Lage wäre. Ein Schuldausschließungsgrund kann aber nicht schon auf Grund der Grausamkeit oder Absurdität der Tat angenommen werden. Ein Schuldausschließungsgrund liegt nur dann vor, wenn die verminderte Schuldfähigkeit im Zeitpunkt der Tat gegeben ist. Begeht der Täter eine Tat, kommt dann in einen Blutrausch und ändert seine Tathandlung nicht, sondern führt sie einfach fort, ist nicht davon auszugehen, dass der Täter vermindert schuldfähig ist, sodass auch kein Schuldausschließungsgrund angenommen werden kann. Hätte die Angeklagte im vorliegenden Fall, nachdem sie dem Blutrausch verfallen ist, eine völlig andere Tathandlung als ursprünglich geplant begangen und hätte diese neue Tathandlung zum Tod geführt, wäre das Gericht von einer verminderten Schuldfähigkeit und demnach einem Schuldausschließungsgrund ausgegangen.

[1] Kühl, in: Lackner/Kühl StGB, § 21, Rn. 2.
[2] BGH, Urteil v. 21.04.1955 – 4 StR 552/54, NJW 1955, 1077 (1077).
[3] BGH, Urteil v. 21.04.1955 – 4 StR 552/54, NJW 1955, 1077 (1078).
[4] OGHBrZ Köln, Urteil v. 25.04.1950 – StS 359/49, NJW 1950, 830 (830).
[5] BGH, Urteil v. 21.04.1955 – 4 StR 552/54, NJW 1955, 1077 (1078).
[6] BGH, Urteil v. 21.04.1955 – 4 StR 552/54, NJW 1955, 1077 (1078).
[7] BGH, Urteil v. 06.05.1954 – 3 StR 843/53, BeckRS 1954, 31195817.
[8] BGH, Urteil v. 06.05.1954 – 3 StR 843/53, BeckRS 1954, 31195817.
[9] BGH, Urteil v. 21.04.1955 – 4 StR 552/54, NJW 1955, 1077 (1078).

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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