Darf vor Gericht gelogen werden?

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Eine Holzstatue eines Mannes mit langer Nase in Hamburg.

Darf vor Gericht gelogen werden?

Wenn man vor Gericht aussagen muss ist jeder aufgeregt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Gefragte ein Zeuge ist oder er angeklagt wurde. Im Rahmen von Aussagen gibt es immer wieder Momente in denen man sich an das Geschehen nicht mehr zu 100% erinnern kann. Doch was dann? Dem Gericht beichten, dass man sich nicht mehr genau erinnern kann? Eine Geschichte erfinden? Oder grundsätzlich die Aussage verweigern? 

Welche Rechte welchem Verfahrensbeteiligten zustehen ist sehr unterschiedlich und es müssen enge Grenzen beachtet werden.

1. Aussagen als Angeklagter

Der Angeklagte hat immer die Wahl, ob er aussagen möchte oder sich lieber nicht zur Sache äußern will. Lügt er über Geschehnisse der angeklagten Tat ist der Tatbestand der Strafvereitelung aus § 258 StGB trotzdem ausgeschlossen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Aussage von einer gewissen Selbstbegünstigung getrieben wird. Unter dem Begriff Selbstbegünstigung werden alle Verhaltensweisen erfasst, mit denen ein Straftäter sich der gesetzlichen Ahndung seiner Tat oder der Vollstreckung einer gegen ihn bereits verhängten Strafe ganz oder teilweise entziehen will. Durch eine falsche Aussage bei der ein Unschuldiger belastet wird kann sich der Angeklagte allerdings einer falschen Verdächtigung gem. § 164 StGB strafbar machen. Mit Verdächtigen ist dabei das Unterbreiten oder Zugänglichmachen von Tatsachenmaterial, das einen Verdacht gegen eine andere Person begründet oder einen bereits bestehenden Verdacht verstärkt, gemeint. Das hat also zur Folge, dass ein Angeklagter zwar nicht die Wahrheit sagen muss, seine Lüge aber nicht dazu führen darf, dass ein Unschuldiger verdächtigt wird. 

Eine blutige Hand mit dem Wort „Nein“ darauf, ein kraftvolles Bild, das die Kompetenz eines Strafrechtsanwalts in Hamburg zeigt.

2. Aussagen als Zeuge

Grundsätzlich ist ein Zeuge gem. § 48 I StPO dazu verpflichtet vor Gericht die Wahrheit zu sagen. Ansonsten macht er sich strafbar. Dabei kommt entweder eine Strafbarkeit nach § 258 StGB, § 153 StGB oder § 164 StGB in Betracht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Zeuge ein Aussageverweigerungsrecht oder ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Ein Zeugnisverweigerungsrecht hat gem. § 52 StPO derjenige Zeuge, der eine enge Verbindung zu dem Beschuldigten hat. Davon erfasst sind Verlobte, Ehegatten und nahe Verwandten. Das Zeugnisverweigerungsrecht erlaubt allerdings lediglich Schweigen und rechtfertigt keine Lüge. 

Ein Aussageverweigerungsrecht aus § 55 StPO hat derjenige Zeuge, der sich durch die Beantwortung der Fragen selber in die Gefahr einer Strafverfolgung bringt. Auch dabei gilt, dass dieses Recht nur ein Schweigen erlaubt, nicht aber eine Lüge rechtfertigt.

3. Lügen als Verteidiger am Beispiel des Strafprozesses um den Tod von Walter Lübcke

Der Mordfall an Walter Lübcke ist vermutlich jedem ein Begriff. Der Prozess geht immer wieder deutschlandweit durch die Presse und sorgt für großes Aufsehen. 

Walter Lübcke wurde am 01.06.2019 bei Kassel in seinem Wohnhaus mit einem Schuss in den Kopf aus nächster Nähe getötet. Am 15.06.2019 wurde Stephan Ernst als dringend tatverdächtig festgenommen. Bereits am 25.06.2019 legte er ein Geständnis ab, welches er aber am 2.07.19 widerrief und durch ein Teilgeständnis Anfang Januar 2020 ersetzte. In diesem Teilgeständnis stellte er seinen Helfer Markus H. als ausführenden Täter dar. Während des Prozesses am 05.08.20 gestand er schließlich doch, dass er selbst geschossen hatte. 

Alleine anhand der Beschreibung der bisherigen Geschehnisse lässt sich erkennen, dass der Prozess durchaus Problempotenzial bietet. 

Nunmehr kam auch der Verteidiger des Angeklagten in Bedrängnis. Ihm wird vorgeworfen er hätte Ernst geraten seinen Helfer Markus H. zu beschuldigen. Würde sich dieser Vorwurf bewahrheiten, hätte er sich möglicherweise gem. § 258 StGB strafbar gemacht, sowie der Anstiftung der falschen Verdächtigung gem. §§ 26, 164 StGB. Deshalb musste der Verteidiger vor dem OLG erstmal auf dem Zeugenstuhl Platz nehmen um über die Geschehnisse zu berichten. 

Grundsätzlich besteht für Rechtsanwälte eine Schweigepflicht, die ihm verbietet Aussagen über das Mandantenverhältnis zu tätigen. In diesem konkreten Fall hatte Ernst seinen Anwalt jedoch von seiner Schweigepflicht entbunden. Nichtsdestotrotz schwieg der Anwalt.

Dabei berief er sich auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO

Inwieweit das Aussageverweigerungsrecht greift hat der BGH in einer von ihm entwickelten sogenannten „Mosaiktheorie“  konkretisiert. Danach betrifft das Schweigerecht auch die Fragen, durch deren wahrheitsgemäße Beantwortung ein Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude bekannt wird. Dementsprechend sind auch Fälle umfasst, in denen zwar durch die Aussage noch kein strafbares Verhalten offenbart wird, aber die Aussage im Zusammenhang mit anderen Tatsachen oder Aussagen den Zeugen belastet. Das Gericht erkannte das Auskunftsverweigerungsrecht des Verteidigers von Ernst an.

Es ist also bis heute nicht eindeutig geklärt, ob der Verteidiger sich strafbar gemacht hat oder nicht. 

Grundsätzlich dürfen Verteidiger nicht lügen, denn sie haben eine Stellung als Organ der Rechtspflege und sind zur Einhaltung der Berufsordnung verpflichtet. Natürlich sind neben der Berufsordnung auch die Strafgesetze von Verteidigern zu beachten. 

Aus Mandantensicht ist Strafvereitelung nach § 258 StGB nahezu die Aufgabe des Verteidigers. Frei nach dem Motto „holen Sie mich da raus, egal mit welchen Mitteln“.

  • 258 StGB droht jedoch jedem Strafe an, der eine Verurteilung einer rechtswidrige Tat ganz oder teilweise verhindert. Unter Umständen kann sogar bereits die Verzögerung der Verurteilung von diesem Tatbestand umfasst sein. Das hat zur Folge, dass sich auch Verteidiger gem. § 258 StGB strafbar machen können.

Nichtsdestotrotz muss es natürlich dem Verteidiger möglich sein eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln ohne sich strafbar zu machen. Die Abgrenzung zwischen zulässigem Verteidigungshandeln und strafbarer Strafvereitelung ist dabei nicht immer eindeutig. 

Grundsätzlich gilt: Der Verteidiger darf alles, was in der StPO erlaubt ist. Rät der Verteidiger dem Mandanten von einem Geständnis ab oder aber rät er ihm zum Schweigen ist der Tatbestand der Strafvereitelung nicht erfasst. 

Dem Verteidiger ist es hingegen verboten eine Falschaussage zu empfehlen oder aber am Aufbau eines Lügenkonstrukts mitzuwirken oder konkrete Hinweise über Fluchtmöglichkeiten zu erteilen. Auch eine aktive Verdunkelung der Wahrheitsforschung oder Verzerrung des Sachverhalts, Beweisquellen verfälschen oder unrichtige Auskünfte geben wird von der Rechtsordnung nicht toleriert. 

Auch während des Plädoyers darf der Verteidiger auf Freispruch plädieren. Dies gilt auch dann, wenn er weiß, dass sein Mandant schuldig ist. Als Begründung kann in dieser Situation nur angeführt werden, dass dem Angeklagten die Tat nicht ordnungsgemäß nachgewiesen werden konnte. Bekannte Tatsachen dürfen auch im Plädoyer nicht falsch dargestellt werden.

Ein Revolver mit Kugeln liegt auf dem Boden in Hamburg, Deutschland.

4. Fazit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass vor Gericht grundsätzlich nicht gelogen werden darf. Davon ausgenommen sind Angeklagte und Zeugen, die ein Zeugnisverweigerungsrecht oder ein Auskunftsverweigerungsrecht haben. 

Stets sanktioniert wird hingegen das falsche Verdächtigen von Unschuldigen. Dabei ist es unerheblich, ob die falsche Verdächtigung von Seiten des Zeugen oder von Seiten des Angeklagten ausgeht.

[1] Eisenberg, in: Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Rn. 901.
[2] Cramer, in: MüKO zum StGB, § 258, Rn. 7.
[3] Cramer, in: MüKO zum StGB, § 258, Rn. 7.
[4] Bosch/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder StGB, § 164, Rn. 5.
[5] BGH, Urteil v. 6.4.2017 – 3 StR 5/17, NStZ 2017, 546 (548).
[6] Hecker, in: Schönke/Schröder StGB, § 258, Rn. 19.
[7] Hecker, in: Schönke/Schröder StGB, § 258, Rn. 19.
[8] OLG Nürnberg, Beschluss v. 12.03.2012 – 1 StR OLG Ss 274/11, NJW 2012, 1895 (1896).
[9] Hecker, in: Schönke/Schröder StGB, § 258, Rn. 20.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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