Wer derzeit aufmerksam die Medien verfolgt, wird mitbekommen haben, dass gegen die Impfstoffhersteller des Corona-Virus-Impfstoffes Verfahren wegen Schadensersatzes bei Impfschäden geführt werden. Grundsätzlich sind solche Verfahren gegen Pharmakonzerne kein Einzelfall. In den meisten Fällen werden diese Streitigkeiten vor den Zivilgerichten ausgetragen, nämlich dann, wenn die Kläger einen Schadensersatzanspruch geltend machen wollen. In Ausnahmefällen führt der gerichtliche Weg aber in eine strafrechtliche Hauptverhandlung.
Nunmehr wurde ein Apotheker zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er tausendfach Krebsmedikamente gepanscht hatte. In dem Zusammenhang musste sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage der Wahlfeststellung auseinandersetzen.
Was genau ist die Wahlfeststellung?
Manchmal kann trotz intensiver Ermittlung in einem Strafverfahren nicht eindeutig geklärt werden, ob der Täter den in Rede stehenden Straftatbestand tatsächlich verwirklicht hat. In diesen Fällen kann eine Verurteilung auf alternativen Grundlagen beruhen. Faktisch ist es dann so, dass der Richter überzeugt ist, dass der Angeklagte eine Straftat begangen hat, aber nicht eindeutig nachweisen kann, ob es die eine oder die andere Straftat war. Ein klassisches Beispiel ist dabei, wenn ein geklauter Gegenstand verkauft wurde. Dann ist nicht feststellbar, ob der Angeklagte den Gegenstand geklaut hat oder „nur“ verkauft hat. Fakt ist, er war zwischenzeitlich im Besitz des Gegenstandes und hat hinterher Geld dafür bekommen.
Die Wahlfeststellung scheidet dem gegenüber aus, wenn nach dem Grundsatz in dubio pro reo (im Zweifel für den Angeklagten) eine eindeutige Tatsachengrundlage geschaffen werden kann. Eine Verurteilung ist nur aufgrund eines zur vollen Überzeugung des Tatrichters festgestellten Sachverhalts zulässig. Aus im Zweifel gebliebenen Umständen darf nichts zu Lasten des Angeklagten hergeleitet werden.
Grundsätzlich ist zwischen gleichartiger und ungleichartiger Wahlfeststellung zu unterscheiden. Bei der gleichartigen Wahlfeststellung hat der Täter zwar sicher nur ein Gesetz verletzt, offen bleibt aber, durch welche konkrete Handlung. So ein Fall kann beispielsweise vorliegen, wenn ungeklärt bleibt, welche von zwei Aussagen falsch ist.
Bei der ungleichartigen Wahlfeststellung geht es um die Anwendung verschiedener gesetzlicher Tatbestände bei nicht aufklärbarer Alternativität der Handlung. Diese Art der Wahlfeststellung setzt voraus, dass die Tatbestände rechtsethisch und psychologisch vergleichbar sind.
Beispielssachverhalt
Über Jahre hinweg hat ein Apotheker aus Essen in über 14.500 Fällen unterdosierte Krebsmedikamente hergestellt und deshalb wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz und Betruges zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Außerdem wurde ein Berufsverbot für den Apotheker angeordnet. Gegen die Entscheidung legte der Verurteilte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Diese blieb nun aber ohne Erfolg.
Das Landgericht hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass der Mann im Tatzeitraum rund 28.000 Arzneimittel hergestellt hat, bei denen mehr als die Hälfte nicht genügend Wirkstoff enthielten, weil der Apotheker zunächst nicht genügend Wirkstoffe eingekauft hatte. Unklar war allerdings, welche Packungen konkret von dem mangelnden Wirkstoff betroffen waren. Daher erfolgte die Verurteilung auf Grundlage der gleichartigen Wahlfeststellung. Auch der mittels Rechtsbehelf eingeschaltete Bundesgerichtshof hatte dagegen nichts einzuwenden.
In seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Apotheker die Verletzung des Schuldgrundsatzes sowie des „Grundrechts auf Wahrung der Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung aus Art. 2 I in Verbindung mit Art. 20 II 2, III GG“. Das Bundesverfassungsgericht führte dazu aus, dass schon aus der Menschenwürde folge, dass jede Strafe Schuld voraussetze. Das Gleiche folge nach Aussagen des Bundesverfassungsgerichts aus dem Rechtsstaatsprinzip, weshalb auch verfahrensrechtlich gesichert sein müsse, dass Tat und Schuld dem Angeklagten prozessordnungsgemäß nachgewiesen wird.
Die rechtsstaatliche Idee der materiellen Gerechtigkeit gebiete eine Verurteilung, „wenn die Schuld des Angeklagten mit Gewissheit feststeht und sich die Zweifel allein auf Tatsachenfragen beziehen“, so das BVerfG.