Auch ein Nebenkläger darf einen Freispruch wollen

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Ein Richterhammer und ein Dollarzeichen auf einem Tisch in Hamburg, die den strafverteidiger Hamburg darstellen.

Auch ein Nebenkläger darf einen Freispruch wollen

Nebenkläger sind in Strafsachen immer die Personen, die entweder Opfer einer schweren Straftat geworden sind oder die Angehörigen der Opfer. Konkret sind mit schweren Straftaten Sexualdelikte, Beleidigungsdelikte, Köperverletzungsdelikte, Freiheitsdelikte und versuchte Tötungsdelikte gemeint.

Meist sind die Nebenkläger an einer möglichst hohen Bestrafung interessiert, damit ihr Gerechtigkeitsempfinden wieder ins Gleichgewicht gerückt wird. 

Jetzt hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass aber auch der Nebenkläger einen Freispruch beantragen darf und nicht nur auf eine Verurteilung hinarbeiten muss.

1. Was ist ein Nebenkläger?

Die Aufgaben und der Sinn des Nebenklägers wird in §§ 395 ff. StPO definiert. Danach haben Opfer einer schwerwiegenden Straftat oder deren Angehörige ein Recht darauf, während der Hauptverhandlung als Nebenkläger in Erscheinung zu treten. In aller Regel haben die Nebenkläger ein Interesse daran, dass der Sachverhalt lückenlos aufgeklärt wird und der Verantwortliche strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen wird. Die Nebenklage ansich hat ihren Sinn im Opferschutz. Die einzelnen Verfahrensrechte des Nebenklägers richten sich dabei nach § 397 StPO. Im Gegensatz zu einem Privatkläger betreibt der Nebenkläger ein Verfahren nicht selbst, sondern tritt in seiner Stellung nur neben den öffentlichen Ankläger. Eines seiner Rechte besteht unter anderem darin, während der gesamten Hauptverhandlung anwesend sein zu dürfen. Eine Anwesenheitspflicht besteht jedoch nicht.

Ein Nebenkläger hat ein sogenanntes Ablehnungsrecht nach §§ 24, 31, 74 StPO, ein Fragerecht nach § 240 Abs. 2 StPO, ein Beanstandungsrecht hinsichtlich sachleitender Anordnungen des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO, ein Recht Beweisanträge zu stellen nach § 244 Abs. 3-6 StPO, das Recht zum Schlussvortrag nach § 258 Abs. 1 StPO, sowie zur Erwiderung nach § 258 Abs. 2 StPO. Das Recht auf die Beweisaufnahme Einfluss zu nehmen wird jedoch dahingehend eingeschränkt, dass dieses nur dann besteht, wenn es um das die nebenklagebegründende Delikt geht. Im Übrigen hat der Nebenkläger ein Recht darauf sich eines Rechtsanwalts zu bedienen. Einen Rechtsanwalt zu beauftragen stellt allerdings keine Pflicht dar. Dieser ist jedoch gem. § 406 e StPO notwendig um eine Akteneinsicht zu beantragen. 

In dem meisten Fällen der Nebenklage wird von den Nebenklägern eine möglichst hohe Strafe gewünscht. Es gibt jedoch auch Situationen in denen der Nebenkläger nicht die Verurteilung, sondern einen Freispruch wünscht.

2. Aktueller Fall aus der Rechtsprechung

Im vorliegenden Fall hatte der jugendliche Angeklagte im Alter von 14 Jahren versucht seine schlafenden Pflegeeltern zu erstechen und sie dabei erheblich verletzt. 

Bereits vor Klageerhebung hatten die Pflegeeltern erklärt, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen. Der Angeklagte wurde dann wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angeklagt. 

Als es zum Prozess kam stellten die Nebenkläger während des Prozesses vor dem Landgericht Koblenz eine Vielzahl von Anträgen, die neben Eingangskriterien der §§ 20,21 StGB insbesondere die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Jugendlichen gem. § 3 JGG zum Gegenstand hatten. Daraufhin hatte die Strafkammer den Beschluss über die Zulassung der Nebenklage der Pflegeeltern aufgehoben und am nachfolgenden Verfahren nicht mehr beteiligt. Begründet wurde dies damit, dass die Nebenkläger erkennbar anstrebten, einen Freispruch des Angeklagten zu erreichen und ihnen deshalb eine Anschlussbefugnis aus dem in § 395 Abs. 1-3 StPO genannten Personenkreis fehle. 

Dagegen richteten die Nebenkläger eine Beschwerde, die das Landgericht nicht abgeholfen hat und das Oberlandesgericht als prozessual überholt angesehen hat und sich deshalb nicht veranlasst gesehen hat eine eigene Entscheidung zu treffen.

3. Entscheidung vor dem Bundesgerichtshof

Der BGH hingegen entschied, dass der Wortlaut von § 395 Abs. 1 StPO bzw. § 80 Abs. 3 S. 1 JGG kein bestimmtes Ziel der Nebenklage definiere. Es ist also nicht vorgeschrieben, dass der Nebenkläger ausschließlich eine Verurteilung verlangen darf. Das Gesetz sehe auch keinen Fall vor, wonach eine ursprünglich zulässige Nebenklage je nach Verfahrensziel unzulässig werde. Unterstützt wird diese Auffassung von § 397 StPO, wonach dem Nebenkläger diverse Verfahrensrechte zustehen, ohne dass diese mit Blick auf ein bestimmtes Ziel beschränkt wären. 

Auch die Formulierung des § 395 StPO und § 80 Abs. 3 JGG, in der es heißt, dass der Nebenkläger sich der Klage der Staatsanwaltschaft anschließt, hat nicht die Verpflichtung des Nebenklägers zur Folge, die Ansichten der Staatsanwaltschaft zu vertreten oder an den Erkenntnissen während der Hauptverhandlung festzuhalten. Der Nebenkläger hat dadurch eine selbstständige Stellung, die ihm die Möglichkeit bietet, auf eine sachgerechte Ausübung der Aufklärungspflicht mitzuwirken. Dazu gehöre ebenfalls, nach Feststellungen des BGH, auch durch Erklärungen, Fragen, Anträge und Rechtsmittel, seine Sicht der Tat und der erlittenen Verletzungen einzubringen und seine Interessen zu vertreten und damit auf das Verfahrensergebnis einzuwirken. Der Nebenkläger ist mit eigenen prozessualen Rechten ausgestattet und kann dementsprechend selber entscheiden, in welcher Weise seine Belange am besten geschützt sind.

Entscheidet sich der Nebenkläger dazu, dass der Angeklagte freizusprechen ist, muss auch der Nebenkläger die Möglichkeit haben auf genau diesen Freispruch hinzuarbeiten.

4. Fazit

Bisher war ein Nebenkläger dazu verpflichtet auf eine Verurteilung des Angeklagten hinzuarbeiten. Grundsätzlich entsprach diese Vorgehensweise sicherlich auch den Vorstellungen der meisten Nebenkläger. Der BGH hat in seinem aktuellen Beschluss deutlich gemacht, dass nunmehr aber auch sie die Möglichkeit haben dem Angeklagten zu helfen, vom Gericht freigesprochen zu werden.  

[1] Der Nebenkläger und seine Vertreter, Justiz-online Justizportal Nordrhein-Westfalen, https://www.justiz.nrw.de/Gerichte_Behoerden/ordentliche_gerichte/Strafgericht/verfahren/Verfahrensbeteiligte/nebenklaeger/index.php, abgerufen am 09.10.2020.
[2] Walther, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 397, Rn.1
[3] Walther, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 397, Rn. 2.
[4] Walther, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 397, Rn. 6.
[5] Weiner, in: BeckOK StPO, § 397, Rn. 8.
[6] Valerius, in: MüKO zur StPO, § 397, Rn. 30.
[7] Valerius, in: MüKO zur StPO, § 397, Rn. 32.
[8] BGH, Beschluss v. 01.09.2020- 3 StR 214/20, Rn. 2.
[9] Nachfolgend mit BGH abgekürzt.
[10] BGH, Beschluss v. 01.09.2020- 3 StR 214/20, Rn. 7; Valerius, in: MüKO zur StPO, § 395, Rn. 4.
[11] BGH, Beschluss v. 01.09.2020- 3 StR 214/20, Rn. 6.

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Über mich

Mein Name ist Tobias P. Ponath und ich bin Strafverteidiger und Rechtsanwalt. Ich bin Fachanwalt für Strafrecht und arbeite seit 2009 als Rechtsanwalt in Hamburg. Hier informiere ich über grundsätzliche Themen und Rechtsgebiete und über strafrechtliche Themen im Besonderen. Ich freue mich über Feedback, Fragen und Anregungen.

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